Die Kunstjaegerin
den Jesuiten, glaube ich.«
Boris zog Floras Computer zu sich herüber. »Darf ich mal?« Er gab einen Suchbefehl ein und sagte nach ein paar Sekunden: »Oh je, die arbeiteten auf der ganzen Welt. Von Amerika bis China.«
»Wenn der kleine Baldinucci auch so eifrig war, finden wir die Bibel nie«, zweifelte Leon. »Außer wir suchen uns alle Jesuitenmissionen der damaligen Zeit heraus und stöbern dort in Bibliotheken und Kirchen.«
»Positiv denken!«, erwiderte Theresa und sah sich um.
Irgendwie beschlich sie wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber da standen nur zwei Kellnerinnen, die tuschelten.
Wahrscheinlich überlegten sie gerade, ob da der kleine Junge saß, der unbemerkt aus dem Hotel entführt worden war.
»Fangen wir mit den Jesuitenklöstern in Italien an.« Theresa versuchte umständlich, etwas in den Laptop einzutippen.
»Ich mach schon«, Boris holte den Computer wieder zu sich.
»Schauen wir zuerst, ob wir im Internet finden, wo sich Baldinuccis Kinder herumgetrieben haben.«
»Hoffentlich müssen wir nicht die Geburts-und Sterberegister in den Florentinischen Archiven durchsuchen«, murmelte Theresa und dachte an den Kunsthistoriker Giancarlo Scuro, der für sein Buch über Sustermans diese Arbeit gemacht hatte – und einer ihrer Verdächtigen gewesen war. Wie schnell man in solch eine Situation geraten konnte!
»Wir haben Glück!«, riss Boris Theresa aus ihren Überlegungen.
»Hier ist die Biografie von Antonio Baldinucci. Er war der Älteste von Filippos Söhnen, ein Jesuit und wurde sogar seliggesprochen!«
Flora stand auf, beugte sich über den Bildschirm und überflog den Text. »Kein Heiliger, sondern ein Irrer! Hört euch das an: Antonio war eine Art Volksmissionar, der durch Mittelitalien zog und Prozessionen veranstaltete. Oberammergaumäßig. Na ja, auch eine Art von Theatermann, wie mein Herr Papa! Antonio trug dabei ein Holzkreuz, schwere Ketten und eine Dornenkrone. Als Höhepunkt der Show wurden am Ende des Umzugs die irdischen Versuchungen des Satans auf einen Scheiterhaufen geworfen: Spielkarten, Würfel, Musikinstrumente und Ähnliches. Freunde, wenn der eine Schrift des Ketzers Galileo in die Hand bekommen hätte, hätte die so was von lichterloh gebrannt.«
Flora setzte sich seufzend nieder. Die anderen lehnten sich schweigend in ihre Sessel zurück.
»Dafür wird man seliggesprochen?« Boris fand als erster die Sprache wieder. Ärgerlich zerkrümelte er ein Croissant.
»Antonio muss das genaue Gegenteil seines Vaters gewesen sein«, überlegte Theresa. »Verbohrt, verbissen, reaktionär. Sein Vater dagegen – eine künstlerische Seele, der das Schöne liebte, eine Art Freigeist.« Sie wandte sich an Flora. »Ich sehe da Konflikte, VaterSohn-Konflikte, wie aus dem Lehrbuch. Was, wenn Antonio die Bibel gar nicht bekommen hat, sondern eines der anderen Kinder?«
»Oder er hat die Bibel, nachdem er sie geerbt hat, niemals angerührt«, ergänzte Flora. »Wenn ich an die vielen Bücher denke, die mir mein Herr Papa geschenkt hat und die in einer Ecke meines Kellerabteils verstauben!«
»Chapeau, meine liebe Flora, dein Desinteresse könnte uns auf die richtige Spur bringen.«
»Also gehen wir von der Prämisse aus, dass Antonio als Erstgeborener die Bibel bekam, sie nie las, und dass Galileos Handschrift noch eingebunden ist. Wo könnte sie jetzt sein? Wir müssten nur herausfinden, wo er lebte und wo er starb«, sagte Leon.
Boris tippte einen weiteren Suchbefehl ein. »Er lebte in Viterbo und starb in Frascati.«
»Frascati! Da fahren wir hin«, jubelte Leon. »Ich habe mal wieder Lust auf einen guten Weiß wein.«
Eine halbe Stunde später standen sie in der Hotelgarage vor dem Van. »Das Navi sagt, bis mittags sind wir dort. Ich fahre die erste Halbzeit.« Paul quetschte sich hinters Lenkrad. »Ihr wisst, ich lasse mich ungern pilotieren.«
»Sind wir nicht zu voreilig, wo sollen wir in Frascati suchen?
Hätten wir nicht …«, sagte Theresa, doch Boris unterbrach sie und schob sie behutsam auf den Rücksitz.
»Wir haben nur noch heute Zeit. Lasst uns im Auto weiterüberlegen. Schauen wir als Erstes, ob es in Frascati ein Kloster gibt. Wenn wir etwas finden, gut. Wenn nicht, geht’s einfach weiter nach Rom auf die Piazza del Popolo ins ›Bolognese‹ zum Lunch. Dann hat sich der Ausflug auf jeden Fall gelohnt.«
»Oh ja, Spaghetti Bolognese!«, schrie Dino.
»Kinder, wir sind spontan! Wie in alten Zeiten, herrlich!«, freute sich Flora und zog
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