Die Kurtisane des Teufels
platzte die junge Frau schließlich heraus. »Wenn ich ihn heirate, werden wir unser Leben in Armut fristen. Ich werde jedes Jahr ein Kind zur Welt bringen und am Ende des Tages nicht wissen, wie ich die vielen hungrigen Mäuler stopfen soll. In zehn Jahren werde ich von den unzähligen Geburten und der harten Arbeit krumm und buckelig sein. Unsere Liebe wird erlöschen, erstickt von Armut und Mühsal … Du weißt, was es heißt, im Elend zu leben, Kitty. Das will ich nicht für mich!«
»Nur weil ich dir von meinen düsteren Erfahrungen erzählt habe …«, warf Kitty schuldbewusst ein.
»Nein, Liebes, du hast mir nur die Augen geöffnet für das erbarmungswürdige Leben, das so viele Menschen führen. Ich will nicht so enden.«
»Was willst du tun?«
»Ich kann Will nicht heiraten«, sagte Polly bestimmt. »Er ist nicht in der Lage, eine Familie zu ernähren. Ich müsste weiterhin meinen Körper verkaufen, damit wir genug zu essen auf dem Tisch haben. Allerdings könnte ich nicht länger in einem teuren Bordell arbeiten, sondern müsste mich auf der Straße anbieten wie die armen Kreaturen, die nach Mitternacht auf die Piazza strömen.«
Kitty konnte ihr nicht widersprechen. Viele der Huren, die des Nachts die Straßen von Covent Garden bevölkerten, waren verheiratet und hatten Kinder. Sie boten sich Nachtschwärmern an, um ihr Haushaltsgeld aufzubessern.
»Aber wenn du Will nicht ehelichen willst, was wird dann mit dem Kind?«, fragte Kitty besorgt. »Früher oder später wird Mutter Grimshaw entdecken, dass du schwanger bist.«
»Ich muss es loswerden«, entgegnete Polly in einem Ton, der verriet, dass sie die Entscheidung bereits gefällt hatte.
»Du willst es abtreiben?«, platzte Kitty entsetzt heraus.
Polly umfasste die Hände ihrer Freundin und drückte sie beschwörend. »Bitte versteh doch! Mir bleibt keine andere Wahl, wenn ich bei Mutter Grimshaw bleiben will. Du wirst mir doch helfen, oder?«, bat sie.
Kitty zögerte, aber der Ausdruck auf Pollys jungem Gesicht war so flehentlich, dass sie es nicht übers Herz brachte, abzulehnen.
»Natürlich helfe ich dir«, stimmte sie zu. »Aber ich möchte, dass du noch ein paar Tage darüber nachdenkst. Und wenn du dir dann immer noch sicher bist, dass es für dich keinen anderen Weg gibt …«
»Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lassen würdest«, unterbrach Polly sie erleichtert und umarmte sie.
30
Kratzend bewegte sich die Feder über das Papier und hinterließ einen zerfließenden Tintenfleck. Einen Fluch unterdrückend, wischte Kitty den Kiel ab und schnitt ihn mit dem Messer ein wenig nach.
Wie jeden Sonntag saß sie über den Büchern des Putzmacherladens und brachte sie auf den neuesten Stand. Sie verrichtete diese Arbeit nun seit fast zwei Jahren, und Mutter Grimshaw war sehr zufrieden mit ihr. Kitty hatte versucht, ihr die Grundzüge der Buchführung zu erklären, doch nach einer Weile hatte die Matrone abgewunken und verkündet, dass sie ihr völlig vertraue. Schreibarbeiten lagen Madam Grimshaw einfach nicht.
Kitty erledigte die Buchführung in der Studierstube der Kupplerin. An diesem Tag wartete die junge Frau ungeduldig darauf, dass die Alte sie allein lassen würde, wie sie es oftmals tat. Immer wieder kehrte ihr Blick zu dem Bücherregal zurück, auf dem neben Romanen und Theaterstücken auch der medizinische Ratgeber »Seltene Wahrheiten«, John Armstrongs »Ökonomie der Liebe«, das unter anderem verschiedene Rezepte zur Wiederherstellung der Jungfernschaft enthielt, und ein Kräuterbuch standen. Kittys Augenmerk war auf das Letztere gerichtet.
Als Mutter Grimshaw endlich die Kammer verließ, wartete Kitty noch einen Moment, um sicherzugehen, dass sie nicht zurückkehrte. Dann steckte sie die Feder in das Tintenfass, erhob sich und trat an das Bücherbord. Rasch nahm sie das Kräuterbuch herunter und schlug es auf. Die altmodischen Schrifttypen waren nicht leicht zu lesen. Das Buch musste an die hundert Jahre alt sein. Seufzend überflog sie einen Text nach dem anderen. Freilich enthielt es kein Rezept zur Abtreibung, aber es gab Mittel, die eine verstockte Menses herauszogen und folglich auch die Leibesfrucht. Endlich wurde Kitty fündig.
»Man nehme Roten Beifuß in Wein gesotten, dazu Muskatblüten, wenig oder viel, und trinke am Tag zwei- oder dreimal davon.«
Die Angaben waren nicht sehr genau, doch das war bei den wenigsten Rezepten der Fall. Gemeinhin ging man zum Apotheker, um sich das Mittel anmischen zu
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