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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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den Eindruck, dass er Euch nur einen Dienst erweisen wollte. Diese Zeuginnen sind vielleicht Eure einzige Chance, dem Henkersstrick zu entgehen, Madam.«
    »Gibt es denn keinen anderen Weg?«
    »Ihr seid bei Gericht ganz auf Euch allein gestellt«, erinnerte sie Robinson. »Da Ihr eines Kapitalverbrechens angeklagt seid, habt Ihr kein Anrecht auf einen Verteidiger. Ich werde zwar an Eurer Seite sein, aber ich darf Euch nur in möglicherweise auftretenden Rechtsfragen beraten. Ihr müsst selbst die Geschworenen von Eurer Unschuld überzeugen.«
    »Wisst Ihr, welcher Richter bei dem Prozess den Vorsitz führen wird?«, erkundigte sich Kitty. Das Zittern in ihrer Stimme verriet, dass ihr der Ernst der Lage bewusst war.
    »Vermutlich werden mehrere Richter auf der Bank sitzen«, erklärte der Advokat mit einem leichten Schulterzucken. »Der Lord Mayor, der Recorder und der Common Serjeant werden ebenfalls anwesend sein. Der ranghöchste Richter führt dann den Vorsitz.«
    »Verstehe«, sagte Kitty ergeben. »Mein Leben hängt also davon ab, wie dessen moralische Überzeugungen aussehen. Sollte er einer der Gesellschaften zur Reformation der Sitten angehören, kann mir auch Jonathan Wild nicht mehr helfen.«
    Robinson schwieg, doch der Ausdruck auf seinem Gesicht bestätigte ihre Einschätzung.
    In ihre Zelle zurückgekehrt, verließ Kitty zum ersten Mal seit ihrer Einkerkerung der Mut. Schluchzend warf sie sich in Samuels Arme und weinte sich an seiner Schulter aus. Der junge Mann wusste nichts anderes zu tun, als sie fest an sich zu drücken und tröstend auf sie einzureden. Schließlich bekam er Unterstützung von unerwarteter Seite. Sally, die einen ihrer besseren Tage hatte, setzte sich zu ihnen und bot ihrer Rivalin einen Schluck Branntwein an. Willenlos kippte Kitty den Alkohol hinunter, der ihr die Kehle verbrannte.
    »Ich werde meine Tochter nie wiedersehen«, jammerte sie. Sie nahm Samuels Gesicht in beide Hände und blickte ihn aus verweinten Augen an. »Versprich mir, dass du für Helen sorgen wirst, Sam.«
    In den letzten Tagen hatte sich die Vertrautheit zwischen ihnen so weit vertieft, dass sie dazu übergegangen waren, einander mit Vornamen anzusprechen.
    »Es wird alles gutgehen«, sagte Sam beschwörend. »Du wirst nicht verurteilt werden. Gott kann das nicht zulassen!«
    »Ich wünschte, du hättest recht«, wimmerte Kitty. »Aber auch mein Bruder war unschuldig, als man ihn hängte. Und Gott hat nicht eingegriffen. Ich hinterlasse dir mein Vermögen. Benutze es, um Helen eine Zukunft zu ermöglichen. Sie soll nie wieder Hunger leiden!«
    »Ich verspreche es«, versicherte Sam und nahm sie erneut in die Arme.

35
    Die Eisenringe lagen kalt und schwer um Kittys Handgelenke. Das Verlies, in dem sie darauf wartete, mit ihren Leidensgenossen vom Newgate-Gefängnis in den Gerichtssaal am Old Bailey hinübergeführt zu werden, war erfüllt von metallenem Hämmern. Zur Sicherheit hatte ein Gefangener unter Aufsicht der Schließer den Angeklagten Hand- und Fußschellen angelegt und sie zu viert oder fünft aneinandergekettet. Das erste Mal seit drei Wochen musste Kitty Sams Gesellschaft entbehren und ihren Anklägern ganz allein gegenübertreten. Ihre einzige Begleitung waren Mörder und Diebe beiderlei Geschlechts, die ihrem Prozess mehr oder weniger gefasst entgegensahen. In einer der Gruppen, die vor ihr in den Gerichtssaal gebracht worden waren, hatte Kitty Jonny entdeckt. Dessen Miene verriet den unerschütterlichen Glauben, dass Jonathan Wild ihn vor einem Schuldspruch bewahren würde. Kitty konnte nur hoffen, dass der Junge recht behielt.
    Würde der Diebesfänger Wort halten und dafür sorgen, dass die von ihm aufgespürten Entlastungszeugen für sie aussagen würden? Welchen Preis würde er dafür von ihr verlangen? Noch immer war sich Kitty nicht im Klaren darüber, ob sie Wild für sein Hilfsangebot dankbar sein sollte. Konnte sie es überhaupt annehmen, nach allem, was er ihr angetan hatte?
    Vor zwei Wochen hatte Stephen Robinson ihr die Nachricht vom Tode des Herzogs von Richmond überbracht. Dem jungen Advokaten oblag nun die traurige Pflicht, seine in Frankreich lebende Mutter Louise de Keroualle, letzte überlebende Mätresse König Charles’ II., von dem Ableben ihres gerade fünfzigjährigen Sohnes zu unterrichten. Doch auch für Kitty war Charles Lennox’ Tod ein herber Verlust. Er war ihr über die Jahre stets eine verlässliche Stütze gewesen. Auch ihre anderen Verehrer hielten fast alle

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