Die Kurtisane des Teufels
mitfühlender Blick begegnete Kittys, und sie nickte ihm zu.
Der Wundarzt beschrieb seine Untersuchung des Toten und fügte hinzu, dass er Mistress Grimshaw und Mistress Montague bereits seit Jahren kenne und es noch nie Beschwerden über sie gegeben habe. Daraufhin sagte der Leichenbeschauer aus. Er bestätigte, dass Martelli durch Erhängen zu Tode gekommen war.
»Gab es noch andere Verletzungen?«, erkundigte sich Sir John Pratt.
»Keine frischen«, antwortete der Leichenbeschauer. »Allerdings war Mr. Martellis Körper von alten Narben bedeckt, die darauf hindeuteten, dass er sich in der Vergangenheit häufig hat züchtigen lassen.«
Richter Robinson und einige andere anwesende Männer senkten verlegen die Köpfe, und für einen Moment war es still im Saal. Schließlich räusperte sich Sir John Pratt und fragte den Ankläger: »Mr. Jones, habt Ihr noch weitere Zeugen?«
»Nein, Mylord.«
»Dann bitte ich Euch, Mistress Montague, in den Zeugenstand zu treten und dem Gericht Eure Version der Ereignisse vorzutragen«, sagte der Lord Chief Justice.
Mit klopfendem Herzen straffte sich die junge Frau. Sie schämte sich für ihre Aufmachung, die unter dem wochenlangen Aufenthalt im Newgate gelitten hatte. Notdürftig hatte sie sich Gesicht und Hände gewaschen und die schmutzigen Haarsträhnen zu einem festen Knoten gebunden. Zumindest ihr Kleid und ihr Spitzenhäubchen waren sauber. Stephen Robinson hatte ihr die Kleidungsstücke besorgt. Der junge Anwalt, der unter der Richterbank an einem Tisch saß, lächelte ihr aufmunternd zu.
In aufrechter Haltung trat Kitty in den Zeugenstand und umklammerte den Rand der Brüstung mit den Händen. Mit klarer Stimme berichtete sie, wie Mutter Grimshaw sie nach Mitternacht jenes unheilvollen Tages zu sich hatte rufen lassen und ihr Signor Martelli vorgestellt hatte. Sie gab den Wortlaut der Unterhaltung wieder, die sie mit dem Italiener in der »Kinderstube« geführt hatte, und zählte die absonderlichen Wünsche auf, die er im Verlauf äußerte und die sie entschieden abgelehnt hatte.
Alle Anwesenden lauschten Kittys Aussage wie gebannt. Es war so still im Saal, dass die Gespräche der Passanten zu hören waren, die den Old Bailey entlanggingen.
Kitty bekräftigte, dass sie sich geweigert hatte, Martelli den mitgebrachten Strick um den Hals zu legen, wie er es verlangte. Daraufhin habe er sie enttäuscht darum gebeten, ihn mit der Rute zu züchtigen. Da in dem Gemach keine Birkenruten vorhanden waren, habe sie sich mit der Erklärung entschuldigt, dass sie erst welche besorgen müsse.
»Als ich Mistress Grimshaw von Martellis Forderungen erzählte, entschloss sie sich, ihm die Tür zu weisen«, fuhr Kitty fort. »Bei der Rückkehr in das Gemach fanden wir ihn am Riegel des Fensterladens erhängt vor.«
Kittys Stimme zitterte, als die schreckliche Erinnerung zurückkehrte, und sie kämpfte mit den Tränen.
»Mutter Grimshaw schickte unverzüglich nach Meister Hearne. Wir versuchten, Signor Martelli wieder zu Bewusstsein zu bringen, aber es war zu spät. Ich hätte ihm nie wissentlich Schaden zugefügt. Wenn ich gewusst hätte, was er vorhatte, hätte ich ihn nicht allein gelassen.«
Noch immer herrschte Schweigen im Gerichtssaal, als seien die Anwesenden sich nicht im Klaren darüber, ob Kitty ihre Aussage beendet hatte. Dann begannen die Zuschauer erregt, aber mit gesenkter Stimme zu tuscheln. Kitty bemerkte, dass Richter Robinson sich zu Sir John Pratt hinüberbeugte und leise auf ihn einsprach. Mit ernster Miene hörte der Lord Chief Justice zu, dann nickte er zustimmend und neigte sich zu seinem Nachbarn zur Linken, dem Lord Mayor der Stadt London, und beriet einen Moment mit ihm. Schließlich schienen sie sich einig zu werden.
Sir John erhob die Stimme, und das Getuschel unter den Zuschauern verstummte. »Ihr dürft den Zeugenstand verlassen, Madam«, sagte er zu Kitty, die ihn verwirrt ansah.
»In Anbetracht der Abscheulichkeit der Umstände, die zu Mr. Martellis Tod geführt haben, sind meine Brüder und ich zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, den Mantel des Vergessens über diese Ereignisse zu breiten«, begann der Lord Chief Justice.
Der Ankläger machte Anstalten, ihn zu unterbrechen, doch Sir John wies ihn mit einer entschiedenen Handbewegung zurecht. Dann wandte er sich an die Jury: »Meine Herren Geschworenen, ich weise euch an, Mistress Montague zu entlassen.« Kein Widerspruch erhob sich. Schließlich ordnete der Lord Chief Justice an,
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