Die Kurtisane des Teufels
bleibt noch eine letzte Pflicht, Madam«, verkündete der Advokat. Mit einer dramatischen Bewegung zog er ein gefaltetes Pergament unter seiner Weste hervor. »Dieses Dokument diktierte mir Mistress Grimshaw, nachdem man sie ins Bridewell überführt hatte. Sie bat mich, es meinem Vater zur Verwahrung zu übergeben. Es erschien mir nicht angebracht, Euch von seinem Inhalt in Kenntnis zu setzen, bevor der Ausgang Eures Prozesses feststand. Doch nun ist der geeignete Zeitpunkt gekommen, es zu verlesen. Es handelt sich um Mistress Grimshaws Letzten Willen.« Ein weiteres Mal räusperte sich Robinson, bevor er das Testament der Putzmacherin entfaltete und zu lesen begann: »Ich, Mary Elizabeth Grimshaw, im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, und so weiter … hinterlasse all meinen weltlichen Besitz Kitty Montague. Dies beinhaltet das Haus »Zur Roten Kugel« in der Little Russell Street sowie mein Vermögen, das bei dem Goldschmied Ballinger in der Bow Street hinterlegt ist.« Robinson ließ das Pergament sinken und faltete es zusammen. »Ihr seid nun eine reiche Frau, Mistress Montague.«
Gerührt von dem großzügigen Geschenk der Kupplerin wandte sich Kitty ab und schloss für einen Moment die Augen. So hatte Mistress Grimshaw also ihr Versprechen wahr gemacht und sie als Erbin eingesetzt. Kitty war ihr unendlich dankbar.
»Ich verlasse Euch nun«, sagte der junge Advokat. »Sicher möchtet Ihr Eure wiedergewonnene Freiheit feiern.«
Nach einer kurzen Verbeugung wandte er sich ab und verließ die Küche.
Kitty atmete tief ein. Sie konnte es noch nicht glauben, dass sich nach all den Rückschlägen doch alles zum Guten gewendet hatte.
Nachdem sie ihre Tochter besucht hatte, machte Kitty am Nachmittag mit Sam einige Einkäufe und richtete sich in einem der weniger verwüsteten Räume ein Schlafgemach ein. Als sie am Abend aneinandergeschmiegt im Bett lagen, fragte Sam: »Was sind deine Pläne mit dem Haus? Wirst du es verkaufen?«
Kitty schwieg einen Moment nachdenklich, bevor sie antwortete. »Nein, ich habe mich entschieden, es notdürftig wieder herrichten zu lassen. Sicher kann ich die anderen Mädchen zur Rückkehr bewegen und sie überzeugen, fortan für mich zu arbeiten.«
»Du willst das Bordell weiterführen?«, rief Sam entgeistert.
»Warum nicht? Mutter Grimshaw hat mich in alle Einzelheiten der Verwaltung eines solchen Unternehmens eingeweiht, und ich habe ihr jahrelang die Bücher geführt. Die Freier kennen mich. Sie werden weiterhin herkommen, auch wenn Mutter Grimshaw nicht mehr da ist.« Kitty stützte sich auf einen Ellbogen und blickte Sam lächelnd an. »Wenn du mir zur Seite stehst, werde ich es schaffen, das weiß ich.«
Zärtlich strich sie mit der Hand über seine frisch rasierte Wange und vergrub die Finger in seinem dunkelbraunen Haar. Zu ihrem Bedauern war es so verknotet gewesen, dass sie es nach dem Waschen hatte kurz schneiden müssen. Er wirkte so verändert, dass Kitty auf einmal Angst versprürte, er könne auch innerlich ein anderer geworden sein als der, den sie im Kerker verführt hatte.
»Wirst du bei mir bleiben?«, fragte sie leise.
Als Sam die Unsicherheit in ihrer Stimme bemerkte, wandte er den Kopf, und der Blick seiner blauen Augen richtete sich auf sie.
»Wenn du mich bei dir haben willst«, antwortete er sanft.
»Dann lass uns Partner sein!«, schlug Kitty vor. »Ich habe große Pläne, nicht nur für dieses Haus, sondern für ein neues Etablissement, das jedes andere hier in London übertreffen wird.« Begeistert erzählte sie ihm von den Pariser Sérails, die zu erkunden sie und Mutter Grimshaw vor dem unglücklichen Tod des Italieners beschlossen hatten.
»Sobald der Putzmacherladen wieder läuft, überlasse ich Lucy für ein oder zwei Monate die Aufsicht«, erläuterte Kitty. »Sie wird schon zurechtkommen, während wir nach Paris fahren und uns die dortigen Bordelle ansehen. Was sagst du dazu?«
Sam hörte aus ihrem entschlossenen Tonfall heraus, dass jeglicher Widerspruch zwecklos wäre.
»Das ist eine wunderbare Idee«, sagte er daher und nahm Kitty liebevoll in die Arme.
36
Kittys Kutsche bog in die Kleine Piazza ein und fuhr an den Badehäusern vorbei. Obwohl es Februar und recht kalt war, ließ die junge Frau das Fenster herunter und blickte mit leichter Wehmut über den »Großen Platz der Venus«, auf dem sie sich so lange heimisch gefühlt hatte. Fast ein halbes Jahr war es nun her, seit sie das letzte Mal über die Piazza
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