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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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weil sie dachte, seine Schritte auf der Stiege zu hören. Doch es waren nur die Geräusche des alten Hauses, dessen Balken sich in stetiger Bewegung befanden. In der Wärme des Sommers knirschten und knackten sie unheimlich, während sich das Holz ausdehnte und unter dem Gewicht des Daches bog.
    Als die Sonne aufging, war Daniel noch immer nicht zurückgekehrt. Bedrückt verließ Kitty das Bett, wusch sich und kleidete sich an, konnte aber keinen Bissen hinunterbringen. Die Angst, ihn zu verlieren, nagte an ihren Eingeweiden und krampfte sie zu einem eisigen Knoten zusammen. Was sollte aus ihr werden, wenn er sie verließ?
    In ihre Gedanken versunken, fuhr Kitty erschrocken zusammen, als sich auf einmal die Tür öffnete und Daniel über die Schwelle trat. Angstvoll sah sie ihn an. In ihrer Nervosität brachte sie kein Wort heraus. Erst als sie ihn lächeln sah, entspannte sich ihr Körper ein wenig. Er trat zu ihr, legte zärtlich die Arme um sie und drückte sie vorsichtig an sich, als fürchte er, sie wie ein Gebilde aus Glas durch eine unbedachte Bewegung zu zerbrechen.
    »Es tut mir leid, dass ich so lange fort war, meine Liebste«, sagte er sanft. »Ich musste einen klaren Kopf bekommen.«
    Sie fühlte seinen Atem in ihrem Haar, während er sie behutsam in den Armen hielt, und ihre Angst begann sich zu legen. Schließlich löste er sich von ihr und blickte ihr in die Augen.
    »Ich liebe dich, Kitty. Wir werden unser Kind zusammen aufziehen. Alles wird gut. Das verspreche ich dir.«
    Ein breites Lächeln teilte seine Lippen und ließ seine weißen Zähne in seinem gebräunten Gesicht leuchten. Kitty konnte seine Freude nicht so recht teilen, zu tief saß der Schreck der letzten Nacht, als sie hatte fürchten müssen, er habe sie verlassen.
    »Komm, wir machen einen Spaziergang«, sagte er auffordernd.
    »Aber ich habe noch nichts gegessen«, widersprach Kitty.
    »Wir essen unterwegs«, wehrte er ab.
    Verwundert über seine Eile band sie ihre Haube unter dem Kinn fest, setzte ihren Strohhut auf und warf sich den Umhang über die Schultern, den er ihr vor einigen Wochen gekauft hatte.
    Daniel führte sie von der Sutton Street über die Swan Alley zur Goswell Street, einer breiten Straße, über die man zu den nördlichen Grafschaften gelangte, und wandte sich dann dem Stadtkern zu. Nach einer Weile erreichten sie die Aldersgate Street, die am Aldersgate endete, einem der sieben Tore, die den Durchgang durch die alte Wehrmauer in die Innenstadt ermöglichte.
    Neugierig betrachtete Kitty die schlanken Backsteinhäuser mit den weißgestrichenen Sprossenfenstern und den charakteristischen Bändern aus andersfarbigen Ziegeln, die die Stockwerke voneinander abgrenzten. Diese nach strengen Auflagen erbauten Häuser ersetzten die bei dem großen Brand zerstörten Fachwerkgebäude früherer Jahrhunderte. Sie mochten gepflegter und eleganter aussehen als die alten Holzbauten mit den vorkragenden Stockwerken, aber Kitty erschienen sie eintönig und langweilig. Eine Häuserzeile glich der anderen, und wenn man sich nicht auskannte, konnte man sich in den gleichförmigen Straßen leicht verlaufen. Über den Dächern thronte die Kuppel der vor acht Jahren fertiggestellten St.-Pauls-Kathedrale. Ein eiserner Gitterzaun, der zwielichtiges Gesindel abhalten sollte, umsäumte den Kirchhof. Staunend sah Kitty zu der gewaltigen Kuppel auf und bewunderte den doppelstöckigen Portikus, zu dem eine breite Treppe hinaufführte.
    Bei einer fahrenden Händlerin tranken sie eine Schale Molke und kehrten dann in einer Bierschenke ein, um zu frühstücken.
    »Hast du mich hergeführt, um mich diese Hammelpastete kosten zu lassen?«, fragte Kitty verwundert. »In dem Fall muss ich dir leider gestehen, dass es sich nicht gelohnt hat.«
    Daniel brach in Lachen aus. »Nein, meine Liebe, deswegen sind wir nicht hier. Ich wollte nur, dass du für unser eigentliches Ziel gestärkt bist.«
    Lange hielten sie sich nicht in dem Gasthaus auf. Daniel hatte es so eilig, weiterzukommen, dass er wie gehetzt wirkte. Es war, als fürchte er, den Mut zu verlieren, wenn er zu lange müßig herumsaß. Sie verließen den Stadtkern durch das Ludgate und überquerten die Fleet-Brücke, auf der Fischweiber und Krämer mit lauter Stimme ihre Waren feilboten. Der Fischgeruch mischte sich mit dem Gestank des Fleet-Flusses, der nach dem Brand von 1666 kanalisiert und mit dreißig Fuß breiten Kaimauern ausgestattet worden war, in der vergeblichen Hoffnung, einer erneuten

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