Die Kurtisane des Teufels
Rand des Zubers. Sie ließ sich bis zum Kinn in dem mit Essenzen und Kräutern parfümierten Bad versinken und schloss die Augen. Ihr aus dem festen Knoten gelöstes Haar trieb wie bleiche Algen um ihren Kopf.
So früh am Morgen war das orientalische Bad noch kaum besucht. Eine halbe Stunde räkelte sich Kitty im duftenden Wasser und wusch sich schließlich die Haare, bevor sie aus dem Zuber stieg und noch eine Weile auf einer Marmorbank in der Mitte eines großen Raumes ausgestreckt schwitzte. Allmählich fanden sich weitere Frauen ein: Marktweiber, Bürgerinnen und die ein oder andere Dirne. Als der Badeknecht zurückkehrte, legte Kitty die Schürze wieder an und ließ sich Rücken, Arme und Beine mit einem rauhen Handschuh aus Ziegenhaar abreiben und die Körperhaare entfernen. Kitty schämte sich der Flohbisse, die ihre Haut entstellten, auch wenn sie vermutlich nicht die Einzige war, die sich im Badehaus vom Ungeziefer befreien ließ. Schließlich fragte der Knecht, ob sie sich schröpfen lassen wollte, und sie stimmte zu.
»Ihr seid recht mager«, bemerkte der Badewärter. »Ich denke, in Eurem Fall beschränke ich mich besser auf trockenes Schröpfen. Das ist schonender.«
Er setzte vier gläserne Schröpfköpfe an, die sich auf ihrem Rücken festsaugten und nach einer Weile eine gut durchblutete Schwellung erzeugten. Nachdem er die Schröpfköpfe wieder entfernt hatte, führte der Knecht Kitty in einen anliegenden Raum, der angenehm kühl war. Hier konnten sich die Badegäste ausruhen und als Erfrischung »Dr. Stephens Stärkungsmittel« zu sich nehmen. Kaum hatte sich Kitty auf einer der Bänke ausgestreckt, als sie auch schon in tiefen, traumlosen Schlaf fiel. Zwei Stunden später erwachte sie erfrischt und hungrig. Nur widerwillig schlüpfte die junge Frau in ihre Lumpen, verließ das Badehaus und suchte einen Pfandleiher auf, um sich neu einzukleiden. Dann betrat sie eine Bratküche und genehmigte sich ein deftiges Mittagsmahl.
Mit klopfendem Herzen stand Kitty vor dem Haus auf der Sackville Street, in dem Henry Montague wohnte. Sie hatte den Fuß schon auf die Treppe zur Eingangstür gesetzt, als sie auf einmal der Mut verließ. Eilig trat sie wieder auf die Straße zurück und entfernte sich. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Erneut überkamen sie Zweifel, ob sie es über sich bringen konnte, einem völlig Fremden beizuliegen. Aber war Daniel nicht auch ein Fremder für sie gewesen, als sie sich ihm das erste Mal hingegeben hatte? Der entscheidende Unterschied war, dass sie Daniel geliebt hatte. Doch er hatte sie verraten, und die Gefühle, die sie für ihn empfunden hatte, waren erloschen. Die Zeit mädchenhafter Schwärmerei war vorbei. Nun musste Kitty an ihre Zukunft denken. Sie gebot ihrem Herzen Schweigen und nahm sich vor, fortan nur noch ihrem Verstand zu gehorchen.
Von einem Kirchturm in der Nähe schlug es die achte Stunde. Kitty hielt in ihrer Wanderung inne und kehrte zur Sackville Street zurück. Als sie das Haus »Zur grünen Feder« erreichte, erklomm sie ohne Zögern die wenigen Stufen und betätigte hastig den Türklopfer, bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte. Kitty musste nicht lange warten, bis ihr geöffnet wurde. Zu ihrer Verwirrung erschien jedoch nicht Henry Montague an der Tür, sondern ein Lakai, der sie neugierig musterte. Die junge Frau hatte nicht damit gerechnet, dass sie in die Verlegenheit kommen würde, ihr Anliegen einem Dritten vortragen zu müssen, und suchte hilflos nach einer geeigneten Formulierung. Doch bevor sie etwas sagen konnte, war der Lakai von der Schwelle zurückgetreten und ließ sie ein. Offenbar hatte sein Herr ihn auf ihre Ankunft vorbereitet.
»Wollet mir folgen, Madam«, forderte der Diener sie auf und führte sie durch die schmale Eingangshalle zu einer Tür, hinter der die fröhlichen Klänge eines Spinetts zu hören waren. Als der Diener den Salon betrat, brach das Spiel ab, und der Musiker wandte sich den Ankömmlingen zu.
»Wie schön, dass du gekommen bist, Herzchen«, rief Henry Montague erfreut, als er Kitty sah. Im nächsten Moment verstummte er, als er ihr verändertes Aussehen bemerkte, und näherte sich ihr fast ehrfürchtig. Auf einmal erschien es ihm nicht mehr angebracht, sie zu duzen.
»Ich habe mich also nicht getäuscht, meine Liebe«, sagte er anerkennend. »Ihr seid tatsächlich so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte. Dieses Haar … wie gesponnenes Gold«, schwärmte er und berührte
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