Die Lady mit dem Bogen
einen grimmigen Ausdruck an, als sie an besinnungslos daliegenden, nach saurem Wein und Urin riechenden Männern vorüberkamen. Nicht zu fassen – diese Männer sollten knapp vor einem Sieg stehen?
Je weiter flussaufwärts sie gelangten, desto besser wurde die Luft. Der Boden um die Zelte wurde sauberer, die Abstände zwischen ihnen größer. Die Zelte wiesen weniger Schmutz und Schimmel auf, es liefen mehr Frauen dazwischen hin und her. Man sah die Wimpel der verschiedenen Adelsgeschlechter, Knappen und Pagen waren mit der Pflege von Rüstungen und Waffen beschäftigt. Ihr Anblick rief Mallory in Erinnerung, dass sie im Kloster ähnliche Arbeiten ausgeführt hatte.
»Du denkst an zu Hause, nicht wahr?«, fragte Saxon.
»Woher weißt du das?«
Er zeigte auf eine im Wind flatternde Fahne mit einem einzelnen braunen Bären darauf.
Ihr erster Instinkt beim Anblick der Kampfflagge ihres Vaters war es, sich umzudrehen und davonzulaufen. Sie unterdrückte diese Reaktion und ging an Saxons Seite weiter. Ihr Vater hatte sie aus seinem Leben gestrichen, als sie ins Kloster eintrat. Sie durfte nicht zulassen, dass ein schwacher Mensch wie ihr Vater ihr ganzes Leben überschattete. Sie selbst hatte längst ihre eigenen Stärken entdeckt und durfte diese nie vergessen. Als sie den Pagen ihres Vaters – nein, Durand musste es inzwischen zum Knappen oder sogar Ritter gebracht haben – vor dem hellgrünen Zelt trainieren sah, lächelte sie.
»Diesen Ausdruck hätte ich von dir nicht erwartet«, sagte Saxon, als sie unter eine Baumgruppe traten, die ihnen die Sicht auf das Bärenbanner nahm.
»Mir fiel ein, dass Durand – der junge Mann vor dem Zelt meines Vaters – immer die Lanze als perfekte Waffe pries. Sie hätte die richtige Länge, um einen in Vorteil zu setzen, und hielte einem die Schwerter vom Leib.« Sie lachte. »Es freut mich, dass er jetzt eine Klinge schwingt.«
»Wenn du kurz mit ihm sprechen möchtest …«
»Nein, wir müssen dem König die Nachricht überbringen.« Sie warf einen Blick über die Schulter. »Das ist der beste Weg, um dafür zu sorgen, dass Durand überlebt und die Chance hat, eines Tages mit seiner Lanze in einem Turnier anzutreten. Es lag ihm immer so viel daran, sich zu bewähren, um sofort zum Ritter geschlagen zu werden, sobald er das richtige Alter erreicht hätte. Er wollte wie einer der Helden werden, die du in deinen Liedern besingst. Nach dem Krieg kann er mit seinem Können in Turnieren glänzen.«
»Hoffentlich behältst du recht.«
Als er daraufhin schwieg, legte Mallory ihre Hand auf seinen Arm. Saxon hatte wenig über seine Vergangenheit und über seine Zukunft als Erbe seines Vaters gesagt, doch wusste sie, dass er mehr erlitten hatte als nur die Wunde, die eine Narbe an seiner Seite hinterlassen hatte. Sie sah nach rechts und erhaschte einen Blick auf das Banner ihres Vaters. Vielleicht war es für sie beide Zeit, die Vergangenheit endgültig vergangen sein zu lassen.
Saxon brauchte ihr das Zelt des Königs nicht eigens zu zeigen. Viel größer als alle anderen, war es durch fünf kleinere, im Halbkreis aufgestellte und wie eine Wehranlage wirkende Zelte vor eventuellen Angreifern geschützt. Pferde grasten hinter dem Riesenzelt. Ein halbes Dutzend Männer saß schwatzend an einem heruntergebrannten Feuer, während ebenso viele Frauen an einem anderen kochten. Niemand sah in ihre Richtung. Sie fand diesen Mangel an Neugierde tröstlich.
Saxon zog sie zu einem Tisch, an dem ein Schreiber hinter einigen Bücher- und Papierstößen saß. Seine Tonsur war feurig rot von zu viel Sonne. Seine Knollennase schälte sich, vermutlich war sie ebenso verbrannt wie sein Hinterkopf. Sein unverständliches Brummen und die Tatsache, dass er sich wieder in seine Arbeit vertiefte, war als Abfuhr aufzufassen.
»Wir möchten König Henry sprechen.« Saxon beugte sich vor und stützte die Hände auf den Tisch, zog sie aber zurück, als der Schreiber ihn entsetzt ansah.
»Ich bin Bruder Reginald. Ich habe die Ehre, Augen und Ohren des Königs zu vertreten. Was Ihr ihm zu sagen habt, könnt Ihr getrost mir sagen. Beginnt, indem ihr Euren Namen nennt.«
Mallory erstarrte, Saxon aber sagte ruhig: »Ich bin der Sohn von Juste Fitz-Juste.« Damit zog er unter seinem Gewand die Seite hervor, die er ihr im Palast der Königin gezeigt hatte. »Dies muss dem König unverzüglich vorgelegt werden.«
Der Schreiber nahm die Seite und legte sie auf die anderen Papiere auf dem Tisch, wobei seine
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