Die Lady mit dem Bogen
warf es beiseite.
»Wenn du nicht Malcoeur dienst, wem dann?«, fragte Saxon.
»Ihr würdet staunen, wenn ich die Wahrheit verriete«, gab der Mann von sich.
»Warum sagst du mir nicht die Wahrheit? Dann werden wir ja sehen, ob ich überrascht bin.«
Das Gesicht des Mannes verzerrte sich, ein Schaudern überlief ihn. Aufstöhnend sank er auf die Knie.
Mallory trat einen Schritt auf ihn zu, Saxons ausgestreckter Arm aber verwehrte ihr den Weg.
Der Mann fiel zitternd und bebend um. In seinen Mundwinkeln schäumte Speichel. Ein undeutliches Gemurmel, dann verstummte er. Arme und Beine zuckten noch, ehe er reglos dalag.
Saxon ging zu dem Fläschchen, das der Mann geleert hatte. Als er es aufhob, hielt Mallory ihn davon ab, daran zu riechen.
»Achtung«, warnte sie. »Gewisse Gifte tun ihre Wirkung, wenn man daran nur riecht.«
»Wisst Ihr, welches Gift das sein könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht viel bei Schwester Arnetta und ihrer Assistentin Schwester Isabella gelernt, die mehr von Kräutern verstanden als alle anderen im Kloster. Sie würden an den Reaktionen des Mannes erkennen, was in der Flasche war.«
»Es muss sich um irgendeine Blume handeln. Seine letzten Worte waren ein Dank an die Blumen.«
»Maiglöckchen sind sehr giftig, ebenso Eisenhut.«
Er drehte sich zu dem vom Todeskampf verzerrten Leichnam um. »Er war bereit, eher zu sterben, als zu verraten, in wessen Dienst er stand. Die Gegner der Königin sind entschlossener, als wir dachten.«
Sie brauchten nicht lange, um zu entdecken, dass der Mann nichts bei sich hatte, das auf seinen Lehnsherrn hingedeutet hätte. Sein Kettenhemd war französischer, sein Schwertgriff aber normannischer Herkunft.
Als der Himmel im Osten graute, hörte Mallory Hufschlag. Sie flüsterte Saxon eine Warnung zu, er aber zog bereits sein Schwert. Er senkte es, als ein halbes Dutzend Reiter aus der Dämmerung hervorbrach. Sie erkannte Sir Godard und Landis d’Ambroise auf den zwei ersten Pferden. Die anderen waren Höflinge der Königin. Alle waren bewaffnet.
Sir Godard saß als Erster ab. Er ging zum Toten und fragte: »Was hat sich hier zugetragen?«
»Wir wurden angegriffen«, sagte Mallory.
Er ignorierte sie. »Saxon, wir hörten Kampfgeräusche vom Fluss her. Dass du betroffen warst, hätte ich nicht erwartet.«
»Wir waren auf der Suche nach den Männern, die uns angegriffen haben«, sagte Saxon, als die anderen sich von den Pferden schwangen, um den Toten zu betrachten.
»Er sieht aus wie ein Krieger.« Ein kleinwüchsiger Mann lachte leise auf. »Ein feiner Krieger, der von einem Spielmann bezwungen wird.«
»Ich bezwang ihn nicht, Duby.«
»Dann habt Ihr es Lady Mallory überlassen?« Bis auf d’Ambroise, der neben dem Toten niederkniete, lachten alle.
»Keiner von uns tötete ihn«, erklärte Saxon mit mehr Geduld, als Mallory aufgebracht hätte, wenn sie so verspottet worden wäre. »Er nahm Gift, um unserem Verhör zu entgehen.«
D’Ambroise erhob sich kopfschüttelnd. »Was konntet Ihr herausfinden, ehe er starb?«
»Nichts«, gab Mallory zurück. Dieses einzige Wort verlieh ihrer Frustration Ausdruck, weil sie in wenigen Stunden der Königin genau dies melden musste.
Die Sonne brannte auf Mallorys Kopf, als auf dem leeren Feld am Fluss ein dumpfer Aufprall zu hören war. Vögel flatterten unter angstvollem Gezwitscher von den Bäumen auf. Sie beschirmte ihre Augen und sah angestrengt zu der Stelle hin, wo der Pfeil noch bebend in einem Baum steckte. Dann ließ sie die Hand sinken und versuchte, ein Seufzen zu unterdrücken.
»Versucht es noch einmal, Lady Violet«, drängte sie.
Die dunkelhaarige Dame, die mit den Tränen kämpfte, nickte. Einzig Lady Elita zeigte einiges Talent als Bogenschützin, und sie wurde nicht müde, sich deshalb vor ihren Freundinnen großzutun, ein Umstand, der Mallory sowie ihre übrigen Schülerinnen zunehmend verdross. Im Kloster hatten ihre Schützlinge sehr rasch Fortschritte gemacht. Einige hatten sich in kürzester Zeit ein Können angeeignet, das vollkommen war wie eine scharfe Pfeilspitze …
Im Kloster bringt man die übrige Zeit freilich nicht mit Flirts und amourösen Tändeleien zu, rief sie sich in Erinnerung.
»Wenigstens habe ich diesmal etwas getroffen«, sagte Lady Violet mit einem überlegenen Lächeln, das den anderen Schülerinnen galt.
»Das falsche Etwas«, rief Lady Elita lachend.
»Aber getroffen habe ich etwas. Wäre Sir Godard nicht stolz auf seine
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