Die Lady mit dem Bogen
versuchte, den Staub mit wilden Handbewegungen vor dem Gesicht zu vertreiben. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sehen, wie ein paar Männer in halsbrecherischem Tempo auf das Stadttor zusprengten. Wappenröcke in grellem Rot, Blau und Gelb bedeckten ihre Kettenhemden.
»Wer von diesem Männern schoss den Pfeil ab?«, fragte sie.
Lady Fleurette schüttelte mit großen Augen den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich sah den Pfeil erst kurz vor dem Auftreffen.«
»Rasch … in den Palast.« Mallory starrte noch immer der grauen Wolke nach, die die Route der Reiter markierte.
»Glaubt Ihr, dass sie für die Königin eine Bedrohung darstellen?«
»Es sind Fremde.«
Lady Fleurette nickte und lief zur Mauer, der Richtung der Reiter entgegengesetzt.
Mallory wusste, dass Eile nicht nötig war. Falls diese Männer die Vorhut der Armee des Königs waren, würde man sie in der Stadt nicht willkommen heißen. Das nahm sie jedenfalls an. Der Kastellan am Tor hatte der Königin Treue gelobt, viele andere, die sich König Henry dem Älteren verpflichtet hatten, waren von ihm abgefallen. Überall lauerte Verrat.
Sie ging zur Zielscheibe und riss ihren Pfeil aus dem Heu. Sie tat ihn in ihren Köcher und griff nach dem Pfeil, der in perfekter Präzision neben ihrem einhergeflogen war.
Die Art der Befiederung und die Farbmarkierungen am Schaft identifizierten den Hersteller. Rot und Blau und Gelb, Farben, wie sie die Männer getragen hatten. Sie tat ihn in ihren Köcher. Sie freute sich schon, ihn dem Eigentümer mit der knappen Mahnung zurückzugeben, dass es gefährlich gewesen war, an ihr und Lady Fleurette vorbeizuschießen. Sie wollte dafür sorgen, dass es dem Schützen im Gedächtnis blieb.
Die erregten Stimmen drangen hinaus in den Korridor und lockten Mallory in die große Halle. Menschen drängten sich und schwatzten erregt durcheinander, als hätten sie einander monatelang nicht gesehen und könnten es nicht erwarten, sich alles zu erzählen, was sich seit ihrer letzten Begegnung zugetragen hatte. Sie blickte zur Hochtafel. Weder Königin noch Comtesse hatten dort Platz genommen.
»Habt Ihr die Kunde schon vernommen?«, fragte d’Ambroise, der ihr entgegenkam.
»Welche Kunde?« Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, der Aufstand möge beendet sein, und beide Seiten hätten sich geeinigt, die Kämpfe einzustellen.
»Die Normandie erhebt sich gegen den König.«
»Seid Ihr sicher, dass es sich so verhält? Die Normandie war König Henry dem Älteren von allem Anfang an treu ergeben.«
»Ich hörte es.« Er nahm ihre Hände, hob eine, dann die andere an seine Lippen. »Wir sollten diese wunderbare Neuigkeit feiern.«
»Später vielleicht.« Sie entzog ihm ihre Hände und bahnte sich ihren Weg durch die Menschen unweit der Tür. Als sie an den anderen vorbeiblickte sah sie, dass auf der anderen Seite der Halle eine Tür offen stand.
Jubel stieg zu den Deckenbalken hoch, als die Königin und Comtesse Marie den Raum betraten. Die Königin stieg die Stufen zu dem Podium unter dem großen Fenster hinauf, gefolgt von ihrer Tochter, die an der Seite Aufstellung nahm. Ihr gegenüber standen die königlichen Gardisten, die Hände an den Schwertgriffen.
Mallory, die sich durch die Menge drängte, wollte zu dem erhöhten Bereich. Da man ihr nur widerwillig den Weg freigab, benutzte sie ein Ende ihres Bogens, um die Leute rechts oder links wegzustoßen. Einige reagierten mit Flüchen, die meisten aber sagten nichts und starrten ihr nur nach. Sie stieg die Stufen hinauf und blieb vor den vier Männern stehen, die die Königin nach St. Jude’s Abbey begleitet hatten. Ein Ende ihres Bogens auf den Boden stützend, zog sie einen Pfeil aus ihrem Köcher. Sie runzelte die Stirn, als sie sah, dass es jener mit den bunten, zu den Überwürfen der Männer passenden Farbmarkierungen war. Sie tat ihn auf die Bank neben dem Tisch und griff nach einem anderen Pfeil, ohne ihn an die Bogensehne anzulegen. Sie war nötigenfalls abschussbereit.
Auf eine Geste der Königin hin traten drei Männer vor. Alle trugen die grellen Überwürfe, die sie auf dem Trainingsgelände durch die Staubwolke hindurch gesehen hatte. Wie ein Mann beugten sie am Fuße der Treppe die Knie.
Als Königin Eleanor ihnen gebot, sich zu erheben, gewahrte Mallory eine Bewegung an der Tür zum äußeren Korridor. Sofort erkannte sie den Mann, der sich durch die dichte Menge drängte, die sehen wollte, wie die Königin die Fremden begrüßte.
Saxon sah Mallory an,
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