Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
weiterging. »Ein Page muss darauf gefasst sein, schwerer zu arbeiten, als er es sich vorstellte, als er seine Dienste anbot.«
»Aber Baldwin ist erschöpft.«
»Das lasst mich beurteilen.« Er zog an ihrem Arm. »Kommt jetzt.«
»Ihr genießt es wohl, alle um Euch herum zu kommandieren?«
»Ja, wenn ich sicher bin, dass ich etwas am besten weiß.«
Sie wünschte, die Königin hätte jemand anderen beauftragt, dafür zu sorgen, dass Christian Lovell am Leben blieb. Doch nein, sie hätte nicht gewollt, dass dieser unmögliche Mensch einer ihrer Mitschwestern aufgehalst wurde. Sie würde ihr Versprechen halten und mit der Gewissheit zurückkehren, dass die Abtei sich die Gunst der Königin bewahrt hatte.
Die Finsternis des Ganges wich Licht, und Avisa hörte Stimmen. Als sie mit Christian die Halle betrat, starrte sie verblüfft um sich. Kamine waren in die Außenmauern eingelassen, ein zusätzlicher befand sich in der Mitte. Rauch hing schwer in der Luft, da die Fenster nahe den Balken, die die Decke in exakten Reihen durchzogen, durch Fensterläden geschlossen waren. Andere Gerüche, weitaus unangenehmer als Rauch, füllten jeden Atemzug und stiegen von den Binsen auf, die den Boden bedeckten.
»Allmächtiger«, entfuhr es ihr, als sie einen Mann sah, der sich an der Mauer erleichterte. Kein Wunder, dass die Halle ärger stank als ein Latrinentrog.
»Habt Ihr etwas gesagt?«, fragte Christian.
»Nein, nichts.« Diese primitiven Gewohnheiten wollte sie nicht mit ihm besprechen. Sein Ton verriet, dass er an dem Tun des Mannes nichts Ungewöhnliches fand. Er sah sie an, sie blickte weg und hoffte, nicht puterrot angelaufen zu sein. Sie gingen zu den Tischen, die in der Nähe der Feuerstellen standen. Die Bänke waren dicht besetzt bis auf eine, auf der ein alter Mann mit einem Stück Brot kauerte. Er brabbelte vor sich hin, fasste sie aber genau ins Auge, als sie an ihm vorübergingen. Sie war nicht sicher, ob er verrückt war oder ob die Zeit seine Gedanken zu Krümeln hatte zerfallen lassen, so verstreut wie jene vor ihm auf dem Tisch.
Sie vernahm einen Fluch und sah, wie Guys Antlitz noch fahler wurde, ehe es sich grässlich rot verfärbte. Sein Blick hing an dem Alten.
Schon wollte sie fragen, was passiert sei, als jemand rief: »Achtung!«
Avisa sprang beiseite, als Diener von Tisch zu Tisch gingen und Speisen anboten. Ihr fiel auf, dass die köstlichsten Leckerbissen zu dem Tisch auf dem erhöhten Podest gebracht waren.
Es war der dem Lord, seiner Familie und seinen bevorzugten Gefolgsleuten oder Gästen vorbehaltene Tisch. Zwei Bänke flankierten den einzigen Stuhl, der in der Mitte stand. Er gehörte dem Burgherrn. Weder seine Gemahlin noch sein Erbe hätte gewagt, darauf Platz zu nehmen. Die Äbtissin hatte sie an diesen wie auch an andere Gebräuche erinnert, die im Kloster nicht gepflegt wurden.
Aber warum sagte man mir nicht, dass keine Frau ein Schwert trägt ? Vielleicht hatte die Äbtissin angenommen, Avisa würde sich daran erinnern, doch die einzigen Erinnerungen an die kurze Zeit, die sie auf dem väterlichen Sitz verbracht hatte, waren jene an das Lächeln ihrer Mutter und an die Stimme ihres Vaters.
»Unser Gastgeber ist Jasper de l’Isle«, flüsterte Christian aus dem Mundwinkel. »Da er ein Mann mit wenig Phantasie ist, sollte er nicht gereizt werden.«
»Ich werde mein feinstes Benehmen zeigen«, sagte sie.
»Ich sprach zu meinem Bruder.« Er warf ihr einen Blick zu. »Es freut mich, dass auch Ihr Euch diese Warnung zu Herzen nehmt.«
Avisa verschluckte höchst ungern auch diesmal eine Erwiderung, doch hätte sie jetzt etwas gesagt, wäre zu befürchten gewesen, dass man ihre Worte hörte, da Stille eintrat, als Lord de l’Isle sich erhob. Bänke, die zurückgeschoben wurden, scharrten über den Steinboden, als sein Haushalt ebenfalls aufstand.
Niemand sagte ein Wort, während der Lord, ein kahlköpfiger Mann im Alter ihres Vaters, auf sie zuging. Seine gerundete Statur, die auch der scharlachrote, von Reichtum und Macht kündende Umhang nicht verbergen konnte, ließ ihn wie ein Fass aussehen. Das Lächeln, das er zur Schau trug, wirkte nicht echt, und er unterließ es, Christians Arm mit dem sonst unter Kriegern üblichen Griff zu fassen.
»Wir suchen Unterkunft.« Christians Miene war angespannt.
»Alle sind auf Castle Orxted willkommen, Lovell«, erwiderte der Lord. Seine Worte klangen so abgedroschen, als könne er sich gar nicht vorstellen, etwas anderes zu sagen.
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