Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
nicht bereit, sich mit dem Platz abzufinden, der ihm auf Grund seiner bäuerlichen Herkunft und seines weiblichen Geschlechts zugedacht war. Einige der Frauen im Kloster waren nicht hoher Abkunft, besaßen aber einen ebenso scharfen Verstand wie diejenigen, deren Familien beim König in Gunst standen.
»Aber gewiss kannst du das erlernen«, antwortete sie und steckte das Schwert in die Scheide. »Doch es bedarf vieler Stunden harter Arbeit, bis man auch nur die grundlegenden Bewegungen beherrscht.«
»Werdet Ihr mich unterrichten?«
»Ich muss meine Reise fortsetzen. Wenn dir ernsthaft daran liegt, die Kampfkunst zu erlernen, dann gehe bis an die Tore von St. Jude’s Abbey, berufe dich auf mich und sage, dass du lernen möchtest.« Sie zögerte, als ihr klar wurde, dass sie beinahe die Wahrheit gesagt hatte. »Die Pförtnerin der Abtei wird dich dorthin weisen, wo du Unterricht bekommst.«
»Ist es weit?«
Sie deutete zur aufgehenden Sonne. »Wenn du zwei Wochen lang in diese Richtung gehst, bist du fast am Ziel. Du kannst in jeder Kirche und in jedem Kloster nach dem Weg fragen.«
»Ich war nie weiter als bis zur Wegkreuzung.«
»Du musst selbst entscheiden, ob du dich auf den Weg machen willst.« Sie reichte ihr die Hand, und das Mädchen ergriff sie. »Als Erstes musst du lernen, alles gründlich zu überdenken. Erst dann sollst du etwas unternehmen. Wenn du wirklich Unterweisung möchtest, überlege dir den besten Weg, ans Ziel zu gelangen. Kannst du dich anderen Reisenden anschließen, die dich vor Banditen und skrupellosen Wirten beschützen? Besitzt du eine Fertigkeit, mit der du dir unterwegs dein Essen erkaufen könntest?«
»Das klingt gefährlich.« Die Augen wurden in dem schmalen Mädchengesicht groß.
»Das ist es auch.« Sie lächelte. »Ich kann dir aber versprechen, dass das, was du erlernen wirst, das Risiko bei weitem lohnt.«
»Auch mein Leben?«
Avisa tätschelte die Hand des Mädchens. »Ich rate dir ja nicht, dein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich rate dir, dass du einen Weg suchst zu erreichen, was dein Herz begehrt. Dies zu erkennen erlaubt dir, dich allem zu öffnen, was Lehrer mir beibrachten.«
»Und ich werde den Umgang mit dem Schwert lernen?«
»Du wirst vieles lernen, auch den Schwertkampf.« Sie ließ die Hand des Mädchens los und strich über ihren Schwertgriff. »Aber zuerst muss du zur Abtei gehen und der Schwester, die an der Pforte wartet, meinen Namen nennen. Sie wird wissen, wohin man dich schicken soll. Wenn du deine Lehrerin erreichst, musst du gewillt sein, bei jeder Lektion alles zu geben.«
»Jede Lektion? Ihr meint damit, es gibt noch andere?« Sie sagte es leise und blickte um sich, als befürchte sie, belauscht zu werden. »Habt Ihr lesen und schreiben gelernt?«
»Ja.«
»Nicht einmal unser Pfarrer kann schreiben. Er sagt, er könne lesen, aber er tut nur so. Ich weiß es, weil er immerzu dieselben Verse aus der Bibel benutzt.«
Avisa lachte. »Wie würde der wohl staunen, wenn du zurückkommst und lesen könntest! Ich warne dich. Hüte dich vor übereilten Entschlüssen. Wenn du dich für diesen Weg entschieden hast, kannst du nicht wieder zurück. Du widmest dein Leben dem Lernen und den Wünschen deiner Lehrer. Überlege jeden Aspekt der Reise.«
»Das werde ich.« Sie drehte sich um, dann schlang sie ihre Arme um Avisa. »Danke, Mylady.«
»Keine Ursache …«
»Fayre.« Das Mädchen straffte die Schultern. »Ich bin Fayre de Beaumont, Tochter des Orvis de Beaumont.«
Die großspurige Vorstellung des Mädchens entlockte Avisa ein Lächeln. »Willkommen, Fayre de Beaumont. Wie kommt es, dass du einen Adelsnamen trägst und in diesem Haus lebst?«
»Ich bin Waise, und diese Bauern boten mir ein Zuhause. Ich verdanke ihnen mein Leben.«
»Und jetzt ersehnst du mehr.«
»Ja.« Sie strich mit dem Finger über Avisas Schwertscheide.
»Solltest du dich entscheiden, nach St. Jude’s Abbey zu gehen und dich unterrichten zu lassen, wünsche ich dir alles Gute.«
»Ich suche mir eine Lehrerin, und ich werde die Beste sein.« Das Mädchen wollte noch mehr sagen, doch als sie gerufen wurde, lief sie zum Haus zurück.
»Das würde mich nicht wundern.«
»Was würde Euch nicht wundern?«, fragte Christian hinter ihr.
Ein Blick über die Schulter zeigte Avisa, dass er die Pferde mit den festgebundenen Proviantsäcken von der Rückseite des Hauses geholt hatte. Guy und Baldwin ließen sich nicht blicken.
»Wenn wir heute früher aufbrechen als
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