Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
König aufzusuchen, hatte sie geglaubt, ihre Aufgabe, Christian von Canterbury fernzuhalten, neige sich dem Ende zu. Weitere Nachrichten aber zeigten, wie falsch diese Erwartung gewesen war.
Dem Erzbischof war der Einzug in London verwehrt worden, und der König hatte Thomas Becket an seinem unweit von St. Albans Abbey gelegenen Hof nicht empfangen. Man hatte sogar den Abgesandten des Erzbischofs abgewiesen. Avisa war erstaunt, dass Becket versucht hatte, sich mit einer Petition an König Henry den Jüngeren zu wenden, da er doch zuvor laut sein Missfallen geäußert hatte, dass dessen Krönung ohne den Erzbischof von Canterbury vollzogen worden war. Ein neuer Keil war zwischen die Freunde von einst getrieben worden.
Wilde Gerüchte waren das Tagesgespräch, wo immer sie anhielten, und die meisten galten der Frage, ob der Erzbischof es wagen würde, den König zu exkommunizieren, oder ob der König den lästigen Becket aus dem Weg schaffen lassen würde. Die Worte der Königin, die sie in der Abtei von St. Jude’s geäußert hatte, fanden ihren Widerhall um die Feuer in Herbergen oder befestigten Herrensitzen.
Die Unsicherheit, die auf dem Land spürbar war, ließ ihren Zwist mit Christian unbedeutend erscheinen. Sie vermutete, dass er ähnlich empfand, da er wieder angefangen hatte, mit ihr zu sprechen, wenn auch mit jener leisen, tastenden Kühle, wie sie unter Fremden üblich war. Seit der Nacht im Bauernhaus hatte er sie nicht mehr berührt. Brauchte sie beim Aufsteigen aufs Pferd Beistand, half Baldwin ihr.
»Wie weit ist es noch?«, rief Guy abermals, als er mit ihnen auf gleicher Höhe war.
Avisa furchte die Stirn und zog die Zügel an. Die schmale Straße bot drei Pferden zu wenig Raum, und Guy wusste es. War er eifersüchtig, weil Christian mit ihr gesprochen hatte? Sie verdrängte diesen Gedanken. Auf die spezielle Aufmerksamkeit seines Bruders legte Guy keinen Wert. Er wollte, dass sie alle zur Kenntnis nahmen, was er sagte, tat oder wollte.
»Avisa?«, fragte Christian mit mehr Geduld, als sie sich selbst zutraute.
»Ich bin nicht ganz sicher«, gab sie zurück. »Diese Wege schlug ich noch nicht oft ein.«
Guys Ton wurde noch schmollender. »Immerhin öfter als wir.«
»Wir haben uns nicht verirrt, falls Ihr das befürchtet.«
Guy warf ihr über die Schulter und die Federn an seinen Pfeilen einen Blick zu. »Kennt Ihr den Weg überhaupt?«
»Kennt Ihr denn nicht den Weg nach Hause?«, fragte sie zuckersüß.
Neben ihr unterdrückte Baldwin ein Kichern. Sie lächelte dem Jungen zu, wobei sie darauf achtete, dass Guy, dessen Gesicht ungesunde Röte angenommen hatte, es nicht sah.
Niemand durfte merken, dass sie die vorige Abzweigung nur gewählt hatte, weil Guy sich mit der Ausdauer seines Pferdes gebrüstet hatte. Das sanft gewellte, hügelige Gelände, das sich vor ihnen erstreckte, würde ihm die Chance bieten, das zu beweisen. Sie hatte keine Ahnung, wohin diese Straße führte, und wusste nur, dass sie nach Nordwesten verlief – fort von Canterbury. Lord de Sommevilles Besitz lag ihrer Vermutung nach nur einen Tagesritt entfernt, doch sie musste darauf achten, dass sie nicht zu früh dort anlangten.
Avisa ließ den Blick über das offene Feld wandern, das von drei Baumgruppen bestanden war. Die Wölkchen am Himmel wirkten wie das Spiegelbild der weißen Punkte auf den näher gelegenen Hügeln. Vermutlich Schafe, die auf Gemeindeland weideten.
Die Sonne stand knapp über den Hügelrücken. Sie hatte die kürzesten Tage des Winters hinter schützenden Klostermauern als wahren Segen empfunden und die Stunden des Märchenerzählens und Singens aus ganzem Herzen genossen, nie aber hatte sie sie mehr geschätzt als jetzt.
»Ihr seht so nachdenklich aus«, sagte Christian.
Sie war erstaunt, als sie sah, dass er wieder neben ihr ritt. Baldwin war vorausgetrabt, um Guy einzuholen, der die Schultern gegen die Kälte hochgezogen hatte.
»Ich dachte an ein warmes Feuer.« Sie war immer froh, wenn sie aufrichtig zu ihm sein konnte. »Sich nach einem kalten Tag abends mit seinen Lieben um ein Feuer zu scharen, gehört zu meinen liebsten Gewohnheiten.«
»Besonders in der Weihnachtszeit.«
Sie nickte, ehe sie merkte, dass er es vermutlich nicht sehen konnte, da seine eigene Kapuze seinen Kopf verbarg. »Die festlichen Traditionen sind in der Zeit der kurzen Tage und kalten Nächte besonders willkommen.«
»Wie gut, dass Eure Erinnerungen Euch jetzt Trost spenden.«
»Ja. Ich kann es kaum
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