Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
ihrem Schützling werden … und aus ihr selbst?
»Ich habe Sie aber deutlich gehört. Wiederholen Sie, was Sie gesagt haben«, verlangte Lady Katherine gebieterisch.
»Ich … ich meinte nur …«, stammelte Sally.
»Sie sagten, er sähe aus wie seine Mutter«, soufflierte ihr Lady Katherine.
Sally ließ den Kopf sinken und wartete, dass die Schale des Zorns sich über sie ergoss.
Stattdessen trat die Missus einen Schritt näher. »Im Vertrauen gesagt, ich bin ganz Ihrer Meinung.«
Sally sah zu ihr hoch und versuchte, die Bedeutung des Gesagten, die Stimmung hinter Lady Katherines nachdenklichen Worten, zu ergründen.
»Wirklich?«, fragte sie schwach.
»Ja. Ich betone immer, wie sehr er seinem Vater ähnelt, weil ich solche Aussagen für geeignet halte, die Selbstachtung eines Mannes, die Bindung an seine Nachkommen, zu fördern und zu festigen.«
»Oh …«, hauchte Sally, immer noch nicht ganz sicher, was die Frau eigentlich sagen wollte.
»Trotzdem erkenne ich auch mich selbst in seinen Zügen wieder. Der Bogen der Brauen, die Tönung seiner hellen Haut …«
»Aye …«, murmelte Sally und gebrauchte damit ein Wort, das zu benutzen Charlotte ihr abgeraten hatte. Aber in diesem Fall, dachte sie, hätte Charlotte nichts dagegen gehabt, denn ihr Geheimnis war, so schien es wenigstens, vorläufig noch sicher.
Sally schaute sich mit großen Augen um. Sie saß im Chequers, dem überfüllten, lauten Pub in Doddington. Etwas verschwommen durch den dichten Rauch aus den vielen Pfeifen und der Feuerstelle nahm sie die Tische wahr, an denen überall Bier trinkende, lachende Männer saßen. Sie fühlte sich vollkommen fehl am Platz. Sie und ihre neue Freundin waren die beiden einzigen Frauen im Lokal, abgesehen von der Frau des Wirts.
Sie hatte Mary Poole auf einem Spaziergang mit Edmund kennengelernt. Mary arbeitete als Amme für die Familie Whiteman, die in einem Haus etwas weiter unten in der Straße wohnte, etwa zwischen dem Landsitz der Familie Harris und dem Dorf.
»Und das ist wirklich der erste Abend, an dem du ausgehst?«, fragte Mary entgeistert. »Sally, Mädchen, du musst deine Bedingungen klarmachen.«
»Bedingungen?«
»Arbeitsbedingungen. Sie müssen dir auf jeden Fall einen freien Abend pro Woche geben.«
»Aber ich muss doch das Kind stillen. Es ist sonst keiner da, der es tun könnte.«
»Er wird in den paar Stunden schon nicht verhungern, oder?«
»Vermutlich nicht.«
Mary warf über ihr Glas hinweg einen Blick in den Raum. »Sieh mal, zwei von den Herren gucken zu uns rüber.«
Sally folgte ihrem Blick und sah zwei Männer etwa in ihrem Alter an der Bar stehen.
»Sitz gerade«, flüsterte Mary streng, »und mach den Mund zu.«
Erst da merkte Sally, dass sie die beiden mit offenem Mund anstarrte. Sie schloss rasch den Mund und setzte sich aufrechter hin.
»Der Blonde gehört mir«, murmelte Mary leise mit geziert lächelnden Lippen.
Doch es zeigte sich rasch, dass der Blonde ein Auge auf Sally geworfen hatte.
Der schlanke, drahtige Mann mit dem hellen Haar und den dunklen Augen sah wirklich gut aus. Er lächelte Sally kühn an, während er herüberkam, und sie spürte, wie ihr Gesicht, das vom Bier bereits warm war, brennend rot wurde.
»Ich heiße Davey. Mein Kumpel hier ist George. Habt ihr zwei Hübschen was dagegen, wenn wir uns zu euch setzen?«
Mary kicherte nur und machte ihnen Platz. Sally starrte immer noch stumm den Mann namens Davey an.
»Ich bin Mary und das ist Sally«, sagte Mary und stieß sie unter dem Tisch mit dem Fuß an. Sally schloss ihren Mund abermals, folgte Marys Beispiel und rutschte auf der Bank beiseite. Davey setzte sich neben sie.
»N'Abend, Miss Sally. Sie sind vielleicht ein Anblick für meine müden Augen, kann ich Ihnen sagen!«
Sally schlug vor seinem bewundernden Blick die Augen nieder und biss sich auf die Lippen, damit sie nicht zu breit lächelte.
Der Abend schritt voran. Sallys Wangen glühten schon bald von Daveys vielen Komplimenten und dem zweiten Glas Ale, das er ihr spendiert hatte. Seit Dickies Vater hatte kein Mann ihr mehr so viel bewundernde Aufmerksamkeit geschenkt, die sie einsog wie eine Verdurstende.
Seufzend gab Mary auf und wandte ihre Aufmerksamkeit dem bärtigen, dunkelhaarigen George zu.
Eine Woche später trafen Mary und Sally sich wie verabredet auf der Straße, beide mit ihren Schützlingen.
»Du kommst heute Abend doch wieder mit, oder?«, sagte Mary und wiegte den kleinen Colin auf dem Arm.
»Ich kann
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