Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
hilft mir, meine vielen Patienten und ihre Wehwehchen auseinanderzuhalten.«
»Ich bin sicher, das gelingt dir bewunderungswürdig.«
»Ich versuche es jedenfalls. Und jetzt erzähl mir genauer, wo du wohnst. Wahrscheinlich kenne ich den Platz, weil ich schon mal irgendjemandem in der Nähe die Knochen gerichtet oder einen Schröpfkopf gesetzt habe.« Er lächelte Charlotte spitzbübisch an.
»Es ist ein altes Steincottage westlich von hier. Gehört den Lloyds.«
»Lloyd Lodge? Auf einer Klippe am Meer? Ja, das kenne ich! Immerhin kann es dir nicht gerade schlecht gehen, Taylor!«
»Nein, das tut es auch nicht. Ich habe die Enkeltochter der Lloyds behandelt und statt einer Bezahlung haben sie uns das Cottage für die Saison überlassen.«
»Großzügig.«
»Vermutlich. Obwohl man dem Haus ansieht, dass sie es nicht mehr oft bewohnen. Es hat schon bessere Tage gesehen.«
»Haben wir das nicht alle? Trotzdem, wenn meine Patienten gerade nicht flüssig sind, kriege ich nur Hammel und Kabeljau. Ich würde sagen, ein Cottage am Meer ist nicht gerade ein schäbiges Entgelt – selbst wenn es schäbig ist.«
Dr. Taylor lächelte. »Komm und schau es dir selbst an. Ja, komm doch zum Abendessen, Kendall. Du musst einfach!«
»Ich wäre hoch erfreut. Nenn mir einfach ein Datum.«
»Wie wäre es mit nächstem Samstag? Dann hätte Lizette Zeit für die Vorbereitungen.«
»Lizette …?«
»Ja. Ich hoffe, du hast nichts gegen französische Küche einzuwenden – oder gegen französische Frauen.«
»Wenn Sie deine Frau ist, ist sie zweifellos eine vollkommene Lady.«
»Sie ist sehr liebenswürdig«, fühlte Charlotte sich gedrängt zu sagen.
»Und werden Sie auch da sein, Miss Lamb? Oder sind Ihre Ferien dann schon vorbei?«
»Ich … ich werde da sein …« Aber bestimmt nicht an einer formellen Abendeinladung teilnehmen! Sie sah Daniel hilfesuchend an, aber er blickte immer noch lächelnd auf seinen alten Freund.
»Dann freue ich mich darauf, Sie ebenfalls wiederzusehen«, sagte Kendall galant mit einer weiteren knappen Verbeugung.
Als sie sich von Richard Kendall verabschiedet hatten und allein weitergingen, fragte Charlotte ruhig: »Warum haben Sie ihm nicht gesagt, dass ich die Amme Ihrer Tochter bin?«
»Ich dachte, das wäre Ihnen nicht recht.«
»Es wäre mir tatsächlich nicht ganz recht gewesen, aber er wird es herausfinden, wenn er zum Essen kommt. Und dann werde ich mir erst recht dumm vorkommen.«
»Ich weiß nicht recht, ob ich Ihnen folgen kann … aber es tut mir furchtbar leid, wenn ich Sie in Verlegenheit gebracht haben sollte.«
»Ich hätte nichts dagegen gehabt.«
»Dagegen?«
»Verstehen Sie denn nicht? Er kennt die andere Charlotte. Die Charlotte aus Kent. Die Tochter des Pfarrers. Die junge Dame, von der Sie einst so voller Achtung gesprochen haben …«
»Aber ich spreche immer noch …«
»Aber ich bin nicht mehr dieselbe Person«, unterbrach Charlotte ihn. »Und nun muss ich miterleben, wie Ihr Freund seine Meinung über mich ändern wird.« Charlotte seufzte. »Ich muss den gesellschaftlichen Abstieg noch einmal durchmachen.«
Es gelang Sally einfach nicht, das Kind aufzuwecken. Sie nahm ihm die Decke weg, kitzelte seine bloßen Fußsohlen, strich ihm über die Wange. Keine Reaktion. Sie nahm ihn vorsichtig auf in der Hoffnung, dass die Bewegung ihn wecken würde. Doch er blieb völlig schlaff, die kleinen Arme hingen herunter und schwangen mit jeder Bewegung, die sie mit ihm machte, mit. Sie ging zu dem Krug und der Waschschüssel, die auf der Kommode standen, tauchte ihre Finger hinein und strich ihm mit dem kalten Wasser über Stirn und Nacken. Nichts.
Sally stöhnte auf. »Und ich habe dir das Zeug doch noch gar nicht gegeben!« Sie hatte ihn noch ein Mal stillen und ihm dann das Laudanum verabreichen wollen, bevor sie ging, aber er war einfach nicht wachzukriegen. Sie überlegte, ob sie sich zuerst umkleiden und das blaue Kleid anziehen sollte, aber sie hatte Angst, dass er spucken oder noch schlimmer, dass seine Windel nicht dichthalten und er sie beschmutzen würde. Ob sie das Zeug irgendwie in seinen Mund kriegen konnte, ohne ihn aufzuwecken? Dann könnte er einfach weiterschlafen. Sie legte ihn in ihre linke Armbeuge und holte die Phiole, die auf dem Wickeltisch stand. Aber sie würde beide Hände brauchen, um sie zu entkorken. Sie setzte die Phiole noch einmal ab, legte das Kind wieder in sein Bettchen und ging zurück zu der Phiole. Sie zog den Korken heraus und
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