Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
nicht. Sie haben mir letzte Woche nur freigegeben, weil ich Geburtstag hatte.«
»Wie großzügig von der Missus!«
»Es war der Herr. Er hat gehört, wie ich gesagt habe, dass heute mein Geburtstag ist.«
»Sehr clever.«
»Ich hatte den freien Tag dringend nötig.«
»Das glaube ich gern. Und wie Georgie mir sagte, hat Davey es dringend nötig, dich wiederzusehen.«
Sally versuchte, ihre Lippen über ihren Zähnen zu schließen, aber auf ihrem Gesicht breitete sich unaufhaltsam ein Strahlen aus.
»Wirklich?«
»Ja. Er meint, du seist das hübscheste Mädchen, das er je gesehen hat.«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Doch, das hat er gesagt.«
»Wahrscheinlich hatte er zu viel getrunken.«
»Sei doch nicht dumm, Sally. Du hast sehr schönes … Haar. Versuch einfach, deinen Mund zuzulassen. Und mach dich nicht so … groß.«
Sally biss sich auf die Lippen. »Ich versuche es.«
»Also, dann treffen wir uns hier um neun und gehen zusammen ins Dorf.«
»Ich weiß nicht. Der Herr und die Herrin gehen heute Abend aus und ich weiß nicht, wer nach Edmund gucken könnte.«
»Vielleicht eine von den anderen Bediensteten?«
»Vielleicht.«
»Hör mal zu, meine Liebe. Du bist nicht die erste Amme, die sich in diesem Dilemma befindet. Aber wenn dein Kleiner schläft, bis du zurück bist, merkt es doch keiner, oder?«
»Aber Edmund ist es gewohnt, um elf Uhr noch mal zu trinken. Wenn er das ganze Haus aufweckt, komme ich morgen früh in Teufels Küche.«
»Und wenn du dafür sorgst, dass er still wie ein Mäuschen die Nacht durchschläft?«
Sally lachte trocken. »Durch welchen Zauber?«
Die Augen ihrer neuen Freundin blitzten boshaft auf. »Damit.«
Sie zog ein kleines, zugekorktes Fläschchen aus der Tasche. Sallys Augen weiteten sich. »Was ist das?«
»Nur ein bisschen Laudanum.«
»Woher hast du das?«
»Das geht dich nichts an.«
»Schlafen die Kinder davon?«
»Klar. Wundärzte benutzen es die ganze Zeit – es ist sehr sicher.«
»Wirklich?«
»Ja, ich hab es selbst schon oft benutzt.«
»Ganz bestimmt?« Sallys Augen waren wie magisch angezogen von der kleine Phiole.
Mary hielt sie ihr hin. »Hier, nimm.«
»Aber … wie soll ich …?«
»Gib ihm einfach ein paar Tropfen in den Mund, bevor du ihn stillst.«
»Woher soll ich wissen, wie viel ich ihm geben soll?«
»Ach, gib ihm einfach einen halben Teelöffel voll.«
»Bist du sicher, dass es ihm nicht schadet?«
»Natürlich bin ich sicher. Wann hat es jemals jemandem geschadet zu schlafen?«
Sally blickte in das Gesicht ihrer Freundin und wieder zurück auf das Fläschchen.
»Hier, nimm.« Mary drückte ihr die Phiole in die Hand.
Sally nahm sie zögernd entgegen.
»Jetzt geh. Wir treffen uns um neun. Zieh dein hübsches Blaues an.«
»Bist du sicher?«
»Ja, deine Augen sehen so blau aus, wenn du es trägst. Ich bin sicher, Davey wird den Blick nicht von dir abwenden können.«
Sally hatte nicht das Kleid gemeint, aber sie berichtigte das Missverständnis nicht. »Mir ging es genauso wie Davey.«
»Klar. Das wäre jeder so gegangen. Er ist aber auch ein Hingucker, was?«
»Aye …«
»Also, bis heute Abend.«
»Gut.«
Sally wollte gehen, wandte sich aber noch einmal um. »Warte. Brauchst du nicht auch was davon?« Sie hob die Phiole hoch.
»Ich hab noch ein Fläschchen.« Sie grinste schelmisch. »Mein letzter Arbeitgeber war Arzt.«
Aus irgendeinem Grund erschien das Gesicht von Dr. Taylor vor Sallys innerem Auge. Der ernste Dr. Taylor mit der sanften Stimme. Er war Arzt. Sie hatte ihm oft auf der Waisenstation geholfen. Hatte er das Zeug je benutzt? Ja, sie glaubte, er hatte es ein- oder zweimal eingesetzt, wenn ein Kind heftige Schmerzen hatte oder mit einer Verletzung eingeliefert wurde.
Aber konnte sie es Edmund geben, auch wenn er völlig gesund war?
Mrs Taylor wollte gern einen Vormittag allein mit ihrer Tochter verbringen und Charlotte war nur zu glücklich über diesen Wunsch. Sie erbot sich, ins Dorf zu gehen und ein paar Einkäufe zu erledigen und dabei auch gleich die Rolle Kerzendocht mitzubringen, die Mrs Beebe vom Krämer brauchte. Daniel sagte, er müsse auch in die Stadt, und bot an, Charlotte mitzunehmen.
»Vielen Dank, aber ich sehne mich nach einem Spaziergang«, sagte Charlotte.
»Wie Sie wollen.«
Doch statt anzuspannen, ging Dr. Taylor ebenfalls zu Fuß. Er holte sie auf der Straße ein, seine Arzttasche in der Hand. »Bewegung ist immer gut«, sagte er. »Ich hatte in letzter Zeit viel
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