Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
spähte in den engen Flaschenhals. Dann nahm sie den silbernen Teelöffel aus ihrer Tasche – sie hatte ihn beim Teetrinken eingesteckt – und goss ein wenig Flüssigkeit hinein. Jetzt war der Löffel etwa halb voll. Sollte sie versuchen, ihn dem Kleinen in den Mund zu schieben? Das Löffelchen war zwar sehr klein, schien aber immer noch zu groß für Edmunds winziges Mündchen. Sollte sie ihm die Öffnung der Phiole selbst an den Mund halten? Aber wie sollte sie dann die Menge abmessen? Außerdem würde er dann mit Sicherheit spucken und sie musste erst noch alles sauber machen, bevor sie sich wegschleichen konnte.
Da stand sie nun, mit dem Teelöffel in der Hand, und überlegte. Sie sah Daveys schöne braune Augen vor sich. Er war wirklich ein gut aussehender Mann! Und er bewunderte sie! Mach es einfach und fertig, redete sie sich gut zu.
Dennoch war ihr der Gedanke, den Kleinen so lange hungern zu lassen, ganz und gar nicht recht. Sie sah auf die Kaminuhr. Nur noch eine halbe Stunde, dann musste sie sich auf den Weg machen. Entschlossen trat sie zur Wiege, den Löffel in der Hand. Sie blickte auf den Kleinen hinunter. Seine Augen waren offen und sahen sie an. Charlottes Augen , dachte sie.
Daniel betrachtete Lizettes Bild im Spiegel ihres Frisiertischchens, während sie sich das dichte, dunkle Haar bürstete, das ihr über die Schultern fiel.
»Wie fühlst du dich heute Abend, mein Liebling?«
»Fragst du mich das als Ehemann oder als Arzt?«
»Ganz wie du möchtest. Beide sind glücklich, dich bei so guter Gesundheit und Laune zu sehen.«
»Du wirkst ebenfalls sehr glücklich, glücklicher, als ich dich seit Langem gesehen habe.«
Er nahm seinen Kragen ab und lächelte. »Und warum sollte ich nicht glücklich sein? Ich habe eine schöne Frau, die ich anbete, eine gesunde Tochter, wohne mietfrei in einem Haus am Meer …« Er beugte sich hinunter und küsste sie auf die Wange.
»Vergiss nicht die Amme.«
»Hmmm?«, fragte er und zog eine Braue hoch.
»Ich meine, dass Annette so gut versorgt ist … die ganze Nacht.« Sie lächelte und sah ihn aufmunternd an. Dann stand sie auf, schmiegte sich an ihn, küsste seine Wangen, sein Kinn, seinen Mund.
Er erwiderte den Kuss und wusste, dass er hätte erregt sein sollen. Physisch und emotional war er es auch. Es war so lange her. Doch sein Verstand wehrte sich gegen die möglichen Konsequenzen, die erschreckende Möglichkeit einer weiteren Schwangerschaft. Ein weiterer Albtraum.
Sanft entzog er sich ihr und nahm ihr wunderschönes Gesicht zwischen seine beiden Hände. Hingerissen sah er sie an, freute sich an ihrem zärtlichen Gesichtsausdruck. Vor ihm stand die Frau, in die er sich verliebt hatte.
»Komm.« Er setzte sich aufs Bett, nahm ihre Hand und zog sie langsam zu sich herunter, bis sie neben ihm lag. Dann schlang er einen Arm um sie und zog sie dicht zu sich heran. Mit der freien Hand strich er ihr das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht. Als ihre Hand begann, seine Brust zu liebkosen, und dann langsam weiter nach unten glitt, legte er seine Hand über ihre und hielt sie fest. Er wusste aus schmerzlicher Erfahrung, dass er, wenn er sie auf ihren Zustand ansprach, nur Abwehr, Leugnung und Zorn hervorrufen würde.
»Ich möchte dich einfach nur halten«, murmelte er, beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn.
Die Wahrheit war sehr viel komplizierter.
24
Die Praxis, Kleinkindern Arzneimittel zu verabreichen, die in der Regel Opiate enthielten, nahm im neunzehnten Jahrhundert ganz entschieden zu …
Valerie Fildes, Wet Nursing: A History From Antiquity To The Present
Sally hob den kleinen Edmund, dessen Augen jetzt weit offen waren, hoch. Sein kleiner Mund öffnete sich, sodass man seinen rosa Gaumen sah. Seine weichen Wangen waren rund und rosig, das ganze Kind war ein Bild der blühenden Gesundheit. Ein paar Stunden ohne Nahrung würden einem kräftigen Jungen wie ihm nicht schaden. Sie legte ihn auf den Wickeltisch und wechselte die Windeln. Als er wieder in ihrem Arm lag, bekam sein zufriedener Ausdruck etwas Unruhiges und er versuchte, sich fester an sie zu drücken. Gib es ihm in den Mund , hatte Mary gesagt, und dann stille ihn . Auf jeden Fall wollte er jetzt gestillt werden.
Eigentlich hätte sie jetzt denken sollen: Gut, dass der Kleine endlich wach ist. Jetzt kann ich ihm das Zeug geben, ihn stillen und dann ausgehen und mich mit Davey amüsieren . Doch ihre Gedanken nahmen eine ganz andere Richtung. Sie dachte an ihren
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