Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
dem Kinn zur Tür. »Durchsucht den Raum«, ordnete sie an.
»Was ist denn?«, fragte Sally, als die Männer des Hauses – der Butler, der Pferdeknecht, der Diener – hereinkamen. »Was geht hier vor?«
»Als ob Sie das nicht wüssten!«, schnappte Katherine.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Das Baby der Whitemans wurde heute Morgen tot aufgefunden«, sagte Mr Harris. »Die Amme wurde festgenommen. Sie war betrunken und hatte Laudanum bei sich. Es wird angenommen, dass sie es dem Säugling verabreicht hat.«
»Mehr als nur angenommen – sie hat ihn umgebracht!«
»Überlass das mir, meine Liebe«, beschwichtigte er sie. Dann schaute er Sally scharf an. »Sie kennen diese Amme, diese … wie war noch mal ihr Name?«, fragte er den Pferdeknecht, der die Schubladen durchsuchte.
»Mary Poole, glaube ich, Sir.«
Er wandte sich wieder an Sally.
»Ja, ich kenne sie«, schluckte Sally. »Ein wenig.«
»Haben Sie sie gestern nicht noch gesehen?«, wollte er wissen.
»Nur ganz kurz … ich bin sicher, sie wollte das nicht. Sie sagte mir, das Laudanum sei harmlos.«
»Ach, hat sie das gesagt? Sie behauptet, das Laudanum, das bei ihr gefunden wurde, gehört Ihnen.«
»Das stimmt nicht!«
»War es denn nicht in Ihrem Besitz?«
»Nun ja, sie hat es mir gegeben, aber ich habe es ihr zurückgegeben.«
»Haben Sie es in dieses Haus gebracht?«, fragte Lady Katherine.
Sally schluckte wieder. Angst stieg in ihr auf. Sie nickte.
»Ins Kinderzimmer?«
Sally nickte wieder, mit gesenktem Kopf. »Sie sagte mir, es würde ihm nicht schaden. Wundärzte verabreichen es auch, wissen Sie. Ich habe ihr geglaubt.«
»Sie haben jetzt eine einzige Chance, die folgende Frage wahrheitsgemäß zu beantworten«, sagte Mr Harris. »Haben Sie Edmund etwas davon gegeben oder nicht?«
Sie sah ihn an, blickte ihm direkt in die Augen. »Nein, Sir, das habe ich nicht. Nicht einen einzigen Tropfen.«
»Wie können wir ihr das glauben?«, fragte seine Frau. »Sie hatte es bei sich. In diesem Zimmer.«
»Ja, aber dann bin ich die Straße runtergerannt und habe es zurückgegeben.«
Katherine wandte sich an den Butler. »Rufen Sie den Arzt. Er muss sofort kommen und den armen Edmund untersuchen.«
»Warum?«, fragte Harris Sally.
»Ich weiß nicht. Es ist manchmal schwer, wenn man nie eine Stunde für sich hat, nie mit Gleichaltrigen zusammenkommt …«
»Ich meinte, warum haben Sie es ihm nicht gegeben? Sie wollten sich doch mit Mary treffen und mit ihr in dieses Gasthaus gehen, was Mary, nach ihrem Zustand zu schließen, auch getan hat. Sie haben das Laudanum mit hierher gebracht in der Absicht, meinem Kind Drogen zu verabreichen, damit sie ›eine Stunde für sich‹ haben konnten. Und jetzt soll ich Ihnen glauben, dass Sie Ihren Plan nicht in die Tat umgesetzt haben? Wenn Sie das wirklich von mir verlangen, wenn ich nicht die Polizei holen und Sie abführen lassen soll, dann muss ich wissen, warum.«
Sie sah den Mann an, den Vater des Kindes, der ganz offensichtlich zutiefst erschüttert und zornig war und doch mit großer Anstrengung versuchte, sich zu beherrschen. Sie dachte an all die anderen Gelegenheiten, bei denen er sich ihr gegenüber großzügig erwiesen hatte, und begriff, was eine bestimmte junge Dame einst in ihm gesehen hatte.
Sie blickte ihm in die Augen und sagte ruhig: »Um seiner Mutter willen.«
Gegen Abend saß Charlotte mit Anne auf dem Schoß auf einer Bank und blickte aufs Meer hinaus. Die beiden waren vor den hektischen Vorbereitungen für die Abendgesellschaft und Lizette Taylors unaufhörlichen, mit schriller Stimme erteilten Anordnungen geflohen. Charlotte war sicher, dass Daniels Frau nicht anspruchsvoll oder schwierig sein wollte. Aber sie war angespannt und fest entschlossen, dass ihr Haus und ihr Essen ganz einfach perfekt sein sollten. Annes Gejammere hatte die gereizten Nerven ihrer Mutter einer zusätzlichen Zerreißprobe ausgesetzt und Charlotte war erleichtert, als sie schließlich gebeten wurde, »mit dem Kind irgendwohin zu gehen«.
Der Spaziergang und die frische Abendluft hatten Anne rasch beruhigt und jetzt saßen die beiden in friedlichem Schweigen beieinander und lauschten auf das Rollen der See und die Schreie der Möwen.
Charlotte war überrascht, als sie Richard Kendall den Hang vom Strand her heraufsteigen sah. Sie hatte nicht erwartet, ihm – oder irgendjemand anderem – auf dieser Seite des Cottage zu begegnen und war keineswegs erfreut, ihn zu sehen. Als er näher kam, erhob sie
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