Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
vielleicht wünschte; schließlich hielten sie sich ohnehin nur vorübergehend an diesem Ort auf. Doch im Grunde wusste Charlotte genau, dass es töricht war, sich einzubilden, es wäre für sie selbst – oder jemand anderen – nötig, dass sie bliebe. Ihr Wunsch, dass alles beim Alten bleiben möge, entsprang wahrscheinlich nur ihrem Unbehagen angesichts einer Zukunft, die dunkel und ungewiss vor ihr lag.
Als die Antwort kam, hielt Charlotte den Atem an – und versuchte dann, Befriedigung darin zu finden, dass sie recht gehabt hatte: Wie sie vorhergesagt hatte, würde Sally mit Freuden kommen. Der Brief erreichte Lloyd Cottage erst kurz vor Sallys Ankunft; sie schrieb, dass sie am späten Nachmittag in Old Shoreham eintreffen würde.
Aus Sallys hastig hingeworfenen Zeilen erfuhr Dr. Taylor, dass der Bote sie gleich am ersten Ort angetroffen hatte, an dem er es versucht hatte – bei den Harrises in Doddington. Mrs Mead hatte offenbar noch einige Tage gebraucht, um ihr eigenes Kind abzustillen, und war am gleichen Tag in Fawnwell eingetroffen wie Dr. Taylors Bote. Sally hatte daraufhin die Postkutsche gleich am nächsten Morgen genommen.
Nun, da alles geklärt war, spürte Charlotte, wie ihre Traurigkeit sich auflöste, wie sie durch die vielen Risse und Wunden in ihrem Herzen heraussickerte und einem dumpfen Pragmatismus Platz machte. Jetzt konnte sie nichts mehr ändern. Sie hatte das Richtige getan, ganz gleich, ob es sich gut anfühlte oder nicht.
An diesem Nachmittag war Charlotte mit einem Korb frisch gewaschener Wäsche, die sie aufhängen wollte, nach draußen gegangen. Sie hatte sich erboten, Marie zu helfen, weil sie hoffte, dass die Arbeit sie von ihrer bevorstehenden Abreise ablenken würde. Doch als sie jetzt anfing, Windeln und niedliche kleine Nachthemdchen aufzuhängen, merkte sie, dass sie sich besser eine andere Aufgabe ausgesucht hätte.
Plötzlich stand Thomas neben ihr. Er beugte sich tief zu dem Korb hinunter und tauchte mit einem Paar gestrickter Söckchen wieder auf, die kaum auf seinen Daumen passten. Charlotte war ein bisschen erleichtert, dass keine Unterwäsche von ihr mit im Korb lag.
Sie sah zu, wie er mit konzentriertem Ernst die winzigen Socken aufhängte. »Hallo Thomas. Helfen Sie wieder mal Mr Beebe?«
»Warum – sind das seine?«
Sie schüttelte amüsiert den Kopf.
»Eigentlich, Miss Charlotte, bin ich hier, um Sie zu fragen, ob Sie am Wochenende bei uns essen möchten. Mutter möchte Sie gern kennenlernen.«
»Wirklich?«
»Ja, Lizzy hat ihr von Ihnen erzählt. Und ich auch, wie ich gestehen muss.«
Sie lächelte rasch, dann biss sie sich auf die Lippen. »Danke, aber ich fürchte, da werde ich nicht mehr hier sein.«
»Nicht mehr hier?«
»Ja. Ich verlasse meine Stellung hier. Die neue Amme ist schon unterwegs. Sie trifft heute noch ein.«
»Aber …« Er starrte sie ungläubig an. »Das ist vielleicht ein Schlag. Ist das … ist das Ihr eigener Wunsch, Miss Charlotte … oder …?«
Mrs Taylor erschien auf dem Rasen. Sie blickte von Thomas zu Charlotte und wieder zurück. »Guten Tag, Mr Cox. Haben Sie schon gehört – Miss Lamb verlässt uns.«
»Gerade eben.«
»Aber Sie werden uns doch weiterhin besuchen, oder?«
»Ich …«
»Natürlich, das müssen Sie. Und jetzt lasse ich Sie beide allein, damit Sie sich voneinander verabschieden können.« Sie kehrte ins Cottage zurück und summte dabei ein Seemannsliedchen vor sich hin.
Thomas sah Charlotte an, seine Augen sprühten geradezu vor Gefühlen, die völlig uncharakteristisch für ihn waren. War es Zorn?
Sie beantwortete seine Frage, als seien sie gar nicht unterbrochen worden. »Ich lerne gerade, Thomas, dass das, was ich will, nicht immer das Beste ist.«
»Miss Charlotte …«
Sie zwang sich zu einem fröhlichen Lächeln. »Eigentlich ist es gut, dass alles so gekommen ist, denn die neue Amme ist eine Freundin von mir. Sie werden sie mögen. Sie ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und wird an den gleichen Dingen Freude haben wie Lizzy. Ich bin sicher, Sie alle werden sehr gut miteinander auskommen.«
Thomas hatte auf den Boden gesehen, während sie sprach, aber jetzt schaute er sie mit ernster Miene an. »Sie sind nicht so leicht zu ersetzen, Miss Charlotte.«
Wieder biss sie sich auf die Lippen. »Danke. Sie sind sehr freundlich.«
»Darf ich Sie wenigstens zur Kutsche begleiten?«
Sie zögerte. »Ich möchte Ihnen keine Umstände machen. Es wartet doch sicher Arbeit auf Sie?«
»Die
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