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Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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las.

    … ich vertraue darauf, dass Dr. Taylor, der besser über deinen Aufenthaltsort Bescheid zu wissen scheint als alle anderen, dir dieses Schreiben überbringt. Meine Güte, Charlotte, warum hast du mir denn nicht früher geschrieben? Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Am Pfingstsonntag war ich bei Margaret Dunweedy, die mir aber nicht sagen konnte – oder nicht sagen wollte –, wo du bist. Sie meinte, du seist irgendwo in den Ferien, aber angesichts deiner Situation konnte ich das natürlich nicht glauben.

    Als Nächstes stellte Katherine mehrere unverblümte Fragen.

    Gouvernante? Es könnte schlimmer sein. Für wen arbeitest du? Kenne ich die Familie? Sie haben hoffentlich erlaubt, dass Anne bei dir bleibt. Wohin soll ich dir schreiben, falls ich dir etwas mitteilen muss? Sei nicht dumm, Charlotte, und schreib mir deine Anschrift.

    Vermutete Katherine etwa, dass sie die ganze Zeit bei Dr. Taylor gewesen war? War sie deshalb so sicher, dass er sie finden würde? Aber warum hatte sie dann nicht Dr. Taylors Adresse in Erfahrung gebracht – was mit Sicherheit nicht schwer war, denn er hatte eine recht bekannte Praxis? Auf jeden Fall war Charlotte klar, dass sie ihre Cousine nicht länger mit fadenscheinigen Erklärungen abspeisen konnte, und sie schrieb ihr, nicht ohne Bangen, zurück:

    Ich arbeite für Dr. Daniel Taylor, den du ja kennst. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Stellung. Die Taylors sind sehr freundliche und großzügige Arbeitgeber. Dr. Taylor hat viel zu tun. Und ja, Anne ist hier und erfreut sich bester Gesundheit. Ich hoffe, das Gleiche gilt für dich und deine Familie …

    Danach begannen Charlotte und ihre Cousine einen lockeren Briefwechsel. Charlotte empfand ein Gemisch aus Freude und Schmerz bei der Lektüre von Katherines wortreichen Berichten über Edmunds Wachstum und Eskapaden und darüber, »wie sehr der liebe Charles in ihn vernarrt ist«. Dennoch hatte Katherine bis jetzt noch keinen Besuch vorgeschlagen und Charlotte lud sie auch nicht ein.

32
    Und mag der schwache Leib vergehn
Und mag er sterben und verwehn;
Die Seele lässt das Jammertal
Und steigt in höchste Höhn.

And let this feeble body fail,
And let it faint or die;
My soul shall quit this mournful vale,
And soar to worlds on high.
    Charles Wesley, Funeral Hymns
    Der Friedhof von Doddington bot in der Spätnachmittagssonne ein friedliches Bild. Helle Weidenzweige neigten sich in nie endendem Gram über die Verstorbenen, die hier begraben lagen. Die Blätter des Feldahorn, die sich bereits an den Rändern einzurollen begannen, leuchteten in tiefem Orange – und Blutrot.
    Charles Harris ging langsam über den Friedhof, an den alten Eiben und fleckigen Grabsteinen mit ihren fast unleserlichen Inschriften vorbei zu einer Reihe neuerer Gräber an der hinteren Mauer.
    Er schritt über einen dicken Teppich aus Blättern und Nadeln und blieb vor einem kleinen Grab stehen. Es war ein Kindergrab, das nur ein schlichtes, handgeschnitztes Kreuz trug. Keine Inschrift gab Auskunft, wer hier begraben lag. Aber er wusste, wer es war, und trauerte. Er kniete vor dem kleinen Kreuz nieder, streckte eine zitternde Hand aus und berührte sanft das Holz. Wieder einmal fragte er sich, wer es wohl angefertigt und aufgestellt hatte, denn er wusste wohl, dass solche Gräber meistens ungekennzeichnet blieben.
    Tränen rannen ihm über das Gesicht wie so oft, wenn er an diesem Ort war und mit seinem Verlust konfrontiert wurde.
    »Ich werde dich nie vergessen«, flüsterte er. Dann stand er auf.
    Irgendwo, nicht weit entfernt, quietschte eine Tür. Charles drehte sich hastig um und erstarrte. Ben Higgins trat aus der Kirche, eine Schaufel über der Schulter und einen Strauß Chrysanthemen im Arm.
    Der junge Mann blieb stehen, als er Charles Harris erblickte.
    »Tut mir leid, Sir«, sagte Ben Higgins, »ich wusste nicht, dass jemand hier ist.«
    »Ich auch nicht. Haben Sie das Kreuz dort aufgestellt – auf dem Grab?«
    Charles deutete auf das Kreuz. Der Blick des jungen Mannes folgte seiner Hand.
    Ben nickte schüchtern. »Ja, Sir. Aber in meiner Freizeit.«
    »Ich tadle Sie nicht. Ich frage nur.«
    Ben nickte abermals. Er stand verlegen da. Eine Blume fiel ihm aus der Hand.
    »Gut, dann lassen Sie sich nicht abhalten und tun Ihre Arbeit. Lassen Sie sich durch mich nicht stören.«
    Doch der junge Mann zögerte immer noch.
    Charles kam ein Gedanke. Er blickte auf die Blumen nieder. »Sind die … für das Grab dort?«
    »Ja, Sir«, gab Ben zu.

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