Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
Vom Netzwerk:
ihn nicht zu bleiben. Sie sagte auch nicht, dass die Nachricht nichts zu bedeuten habe. Er wusste nur zu gut, dass sich nun alles, alles geändert hatte.

    Obwohl die gesellschaftlichen Konventionen es nicht verlangten, dass Frauen an Beerdigungen teilnahmen, wusste Charlotte, dass Katherine es von ihr erwartet hätte. Sie zog ein schwarzes Kleid an, verbarg ihr Gesicht unter einem Schleierhut und einem großen Schirm und schritt langsam an den Reihen bemooster Grabsteine vorbei zum Grab ihrer Cousine. Von Weitem sah sie den Leichenwagen kommen, gezogen von vier schwarzen Pferden mit schwarzem Kopfschmuck. Ihm folgte ein langer Trauerzug. Sechs starke Männer, darunter William Bentley, trugen den lackierten Sarg dann zu seinem letzten Ruheplatz. Charlotte wartete, bis die Trauergemeinde an ihr vorbeigezogen war, und schloss sich hinten an. Die Trauernden vor ihr trugen alle Schwarz – die wenigen anderen Frauen schwarze Kleider und Umhänge, die Männer schwarze Armbinden und Handschuhe.
    Es waren so viele Menschen gekommen, dass sie kaum einen Blick auf Charles erhaschen konnte. Edmund sah sie gar nicht. Die Totenglocken läuteten. Charlotte spürte bei jedem einzelnen Ton, wie ihr Herz gegen ihre Rippen schlug. Armes Lämmchen , dachte sie und meinte damit nicht nur Edmund, sondern auch Charles und Katherine. Ihre Cousine würde nicht da sein, um den kleinen Jungen aufzuziehen, den sie so liebte, sie würde nicht sehen, wie er zum Mann heranwuchs. Und Edmund war noch so klein, würde er sich in einem Jahr – oder in fünf Jahren – überhaupt an die Frau erinnern, die er Mutter genannt hatte? Charlottes Mutterherz schmerzte sowohl für Katherine als auch für Charles und Edmund.
    Der gleiche Pfarrer, der Katherine vor ein paar Jahren ausgesegnet hatte, beerdigte sie jetzt. Auf ihrem Platz ganz hinten bekam Charlotte nicht viel von der Predigt mit, doch zum Schluss sang eine begnadete Sopranstimme ein so schönes, bewegendes Kirchenlied, dass die Trauernden unter diesem Eindruck noch heftiger schluchzten als bei den Worten des Pfarrers.
    Warum lässt uns das Schicksal unserer Lieben weinen,
entsetzt uns des Todes Angesicht
Ruft doch nur Jesus so zu sich die Seinen
Und trägt auf seinen Armen sie ins Licht.

    Why do we mourn departing friends?
Or shake at death's alarms?
'Tis but the voice that Jesus sends,
To call them to His arms …
    Auch Charlotte weinte.
    Sie hatte eigentlich nicht mitgehen wollen in Katherines Haus am Manchester Square, nicht zusammen mit all den vornehmen Gästen, engen Freunden und Familienangehörigen, die nach der Beerdigung zu einem kalten Buffet und »einem Gläschen« eingeladen waren. Doch sie musste es einfach tun. Immerhin gehörte sie zur Familie, sie war eine Cousine von Katherine. Die Gesellschaft würde von ihr erwarten, dass sie noch sechs Wochen lang schwarze Kleidung trug – würde sie dann nicht auch erwarten, dass sie ihren Verwandten durch ihre persönliche Teilnahme an der Trauerfeier ihren Respekt bezeigte? Dennoch war sie überrascht, dass sie tatsächlich den Mut aufbracht, an der Haustür zu klingeln.
    Auf keinen Fall wollte sie Charles begegnen, ihre Hände zitterten schon allein bei dem Gedanken daran. Sie wollte nicht, dass er annehmen musste, sie »säße bereits in den Startlöchern« oder erwartete irgendetwas von ihm. Sie hatte nur das Gefühl, dass es ihre Pflicht – und ihr Recht – war, hier zu sein, wenn auch nur für ein paar Minuten. Da sie ihre Cousine kannte, wusste sie, dass Katherine tödlich beleidigt gewesen wäre, wenn sie gewusst hätte, dass Charlotte sich nicht wenigstens zeigte, wenn auch noch so kurz.
    Deshalb übergab sie dem Butler mit bebenden Händen ihren Umhang und ihren Schirm, behielt jedoch den Hut mit dem Schleier auf, als sie dem Mann nach oben folgte. Er hatte ihre Kleidungsstücke noch über dem Arm und sagte entschuldigend: »Ich fürchte, wir haben ein bisschen zu viele Mäntel hier, M'um. Ich werde Ihre Sachen dorthin legen, hinter diesen Schirm, zu den anderen. Wenn Sie Hilfe brauchen, um ihn wiederzufinden, werde ich Sie nachher gerne bei der Suche unterstützen.«
    »Danke.«
    Im Salon standen die Gäste überall in kleinen Gruppen beieinander, unterhielten sich, manche ernst, manche weniger ernst, und genossen das versprochene Gläschen. Charlotte setzte sich auf einen Stuhl nah bei der Tür und beobachtete still das Geschehen. Charles oder Edmund sah sie nicht, vielleicht waren die beiden im angrenzenden

Weitere Kostenlose Bücher