Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
herauszubekommen!«
»Ich will doch nur … bitte, sag mir, dass es nicht der junge Totengräber war, der dich immer so angegafft hat.«
»Ben Higgins? Er gafft mich nicht an. Du lieber Himmel, nein, Tante! Ganz bestimmt nicht!«
»Also war es wenigstens jemand aus unserer gesellschaftlichen Schicht?«
»Tante, bitte. Ich sage dir jetzt eines und damit ist dann endgültig Schluss. Unsere Familie würde keine weitere Schmach erleiden, weder durch seinen Namen noch durch seine Verbindungen, wenn sie bekannt würden. Gut?«
»Ein Gentleman. Ich wusste es. Aber warum … verzeih. Wir reden nicht mehr davon.«
»Danke.« Baby Anne begann zu wimmern. Charlotte nahm sie auf und drückte sie an sich. »Es tut mir leid, dass du mein Verhalten nicht billigen kannst, aber ich bin trotzdem etwas überrascht über die Heftigkeit deiner Einwände.«
»Meine Liebe, Ammen sind geradezu schändlich unerzogene, ungebildete und unmoralische Geschöpfe …«
»Danke.«
»Ich meine, im Allgemeinen. Du wirst kaum höher stehen als eine Küchenmagd. Die Dame des Hauses wird dich mit kaum verhohlener Verachtung behandeln und gerade nur so lange dulden, wie ihr Kind dich braucht. Wenn du sie verärgerst, kann nichts sie daran hindern, dich auf die Straße zu setzen, sobald sie eine andere Amme gefunden hat.«
»Die Dame wird nicht mit im Hause wohnen, zumindest eine Zeit lang nicht.«
»Wie? Das ist ja noch schlimmer! Wirklich, meine liebe Charlotte, hier muss ich ein Machtwort sprechen. Du kannst nicht mit einem Mann in einem Haus leben, wenn seine Frau nicht bei ihm ist.«
»Dienstboten tun das immer.«
»Aber nicht Charlotte Lamb.«
»Sein Vater lebt bei ihm.«
»Zwei Männer, Charlotte?«
»Aber seine Frau ist im Krankenhaus. Sie ist indisponiert, vielleicht noch monatelang. Dr. Taylor hofft, dass es nicht so lange dauert, aber er kann nichts Genaues sagen.«
»Warum kann er seine Frau denn nicht zu Hause versorgen? Er ist doch Arzt, oder nicht?«
»Ja, aber sie … Nun, es steht nicht zur Debatte. Dr. Taylor will nur das Beste für seine Frau, da bin ich ganz sicher.«
»Das Beste für sie … oder für sich selbst?«
»Tante. Ich bin mir völlig sicher, er handelt in dieser Situation völlig uneigennützig.«
»Aber was ist das Beste für dich ? Ganz bestimmt nicht das. Meine Liebe, bitte, überlege es dir noch einmal. Wenn es bekannt wird, wirst du später niemals eine Stelle als Gouvernante bekommen, das weiß ich genau. Dein Vater und deine Schwester wären tief gedemütigt und ich nicht weniger – das muss ich bekennen. Aber auch, wenn es niemand erfährt, Charlotte – könntest du eine weitere Trennung ertragen? Und du wirst früher oder später von diesem Kind getrennt werden. Mach keinen Fehler.«
»Das weiß ich«, sagte Charlotte matt.
»Könntest du das wirklich ertragen? Wäre es nicht besser, diesen Ort zu verlassen und ein ganz neues Leben anzufangen?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur … ich brauche das. Ich habe das Gefühl, als stünde ich an einem steilen Abhang, vor einem riesigen, schwarzen Abgrund, und nur so kann ich mein Gleichgewicht bewahren. Warum soll ich nicht die mir von Gott gegebene Nahrung benützen, um dieses Kind damit zu ernähren?«
»Es ist nicht dein Kind.«
»Das weiß ich, Tante. Dessen bin ich mir nur zu sehr bewusst. Ich weiß, dass ich meinen Sohn durch die kleine Anne nicht zurückbekomme – falls du denkst, dass ich mir das einbilde. Aber dieses kleine Mädchen braucht mich.«
»Nein. Sie braucht dich nicht. In diesem Haus gibt es mindestens ein Dutzend Frauen, die für sie sorgen könnten.«
»Aber wer wird für mich sorgen?«
»Gott.«
»Das glaube ich dir, Tante, denn wenn es nicht so wäre, wäre ich schon längst in diesen Abgrund gestürzt. Aber Gott kann ich nicht im Arm halten, riechen oder streicheln. Seine Schreie ersticken nicht meine eigenen Schreie, wie ihre es tun. Anne gibt mir einen Grund aufzustehen, weiterzuleben, heute und vielleicht noch ein wenig länger.«
»Es gibt andere Wege, damit fertig zu werden.«
»Woher willst du das wissen? Verzeih mir, aber du bist keine Mutter. Du hast selbst keine Kinder.«
»Ich hatte eines.« Amelia Tilney schaute ins Leere, plötzlich standen Tränen in ihren Augen. »Ich hatte vor vielen Jahren ein kleines Mädchen, lange nachdem dein Onkel und ich jede Hoffnung, Kinder zu bekommen, aufgegeben hatten. Es lebte nur wenige Tage.«
»Oh, Tante, es tut mir so leid. Das wusste ich nicht.«
»Sie hatte
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