Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
das eine Frau bekommen konnte.
Charlotte saß auf der Gartenbank, die kleine Anne Taylor im Arm. Sie dachte daran, dass ihre Mutter immer gesagt hatte, frische Luft und Sonne sei für ein Kind ebenso wichtig wie Muttermilch. Dr. Taylor trat aus Seitentür und winkte ihr zu. Sie legte das Kind in den neben ihr stehenden Henkelkorb und stand auf, als er näher trat.
»Miss Lamb, darf ich Ihnen sagen, dass Sie wie eine Frau aussehen, die bereits viele Kinder geboren hat?«
Sie sah ihn rasch an und wandte den Blick dann ab; ihre Hand berührte unwillkürlich ihre Taille, die immer noch leicht gewölbt war.
Dr. Taylors blasse Wangen färbten sich rot unter den sandfarbenen Stoppeln.
»Ich meinte … Sie wirken so erfahren … das heißt … Sie wirken, als ob Sie genau wissen, was Sie tun.« Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn. »Auch wenn ich es offensichtlich nicht weiß.«
Charlotte fragte sich, warum er so nervös war.
»Haben Sie immer noch vor, bald nach Crawley abzureisen?«, fragte er.
»Ja, es sei denn, meine Tante sagt ab.«
Die Hände auf dem Rücken, betrachtete er den Boden vor sich. »Miss Lamb, ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht umdisponieren könnten.« Er räusperte sich. »Das heißt, ich nehme nicht an, dass Sie mir die Ehre erweisen würden … ähm …«
Er brach ab und setzte neu an. »Wissen Sie, ich kann leider nicht sagen, wann meine Frau wieder in der Lage sein wird, nach Hause zurückzukehren. Ich kann nur hoffen, dass es nicht zu lange dauert. Doch da sie, wie ich fürchte, wahrscheinlich noch länger hierbleiben muss, wäre ich Ihnen zutiefst dankbar … Natürlich verstehe ich vollkommen, wenn Sie ablehnen. Ich weiß, dass es anmaßend ist und dass Sie diesen Lebensabschnitt so schnell wie möglich hinter sich lassen möchten, aber …«
Charlotte runzelte die Stirn in dem Versuch, seinen Ausführungen zu folgen. Doch dann begriff sie. Er bat sie, weiterhin die Aufgabe der Amme für sein Kind zu übernehmen. Sie erinnerte sich mit demütigender Deutlichkeit an Sallys Verhör und schluckte.
»Aber jede der Frauen hier wäre glücklich, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Ich weiß nicht … warum fragen Sie gerade mich?«
Bei dieser Frage schien sich Dr. Taylor zu beruhigen. »Die reine Vernunft legt nahe, dass eine Amme nicht nur ihre Milch gibt, sondern über die Milch auch etwas von ihrem Charakter, ihren Eigenschaften, guten wie schlechten, übermittelt. Ich glaube zwar nicht, dass das wissenschaftlich belegt ist, doch wenn ein Funken Wahrheit darin steckt, bin ich sicher, dass die Fürsorge einer so gütigen, liebevollen, achtbaren Frau wie Sie meiner Tochter nur von Nutzen sein kann.«
»Wie können Sie so etwas über mich sagen. Nach allem …?«
Er trat einen Schritt näher und sah ihr direkt in die Augen. »Kein Mensch geht durchs Leben, ohne Fehler zu machen, Miss Lamb«, sagte er freundlich. »Doch selten bereut jemand seine Fehler so bitterlich wie Sie. Ich habe nie eine vornehmere, ehrenhaftere, wertvollere Frau gesehen … und wenn meine Tochter eine dieser Eigenschaften von Ihnen annimmt, kann ich nur dankbar sein.«
Sie blickte zu ihm auf und sah die aufrichtige Hochachtung in seinen blaugrünen Augen.
Sie öffnete den Mund, um ihm zu antworten, doch in diesem Augenblick hörte sie eine vertraute Stimme ihren Namen rufen.
»Charlotte?«
Sie wandte sich um und sah eine vornehm gekleidete und wunderbar vertraute Gestalt am Gartentor stehen. Sie entschuldigte sich bei Dr. Taylor und schritt rasch über den Gartenweg; dabei bemerkte sie kaum, dass Dr. Taylor ins Haus zurückkehrte.
»Tante Tilney! Wie habe ich mich danach gesehnt, dich zu sehen!«
Die beiden Frauen umarmten sich und Charlotte führte ihre Tante zu der Gartenbank. Amelia Tilneys Augen weiteten sich, als sie das schlafende Kind im Korb entdeckte.
»Ist das dein Kind?«
»Nein.«
»Ich dachte es mir.«
Charlotte sah ihre Tante mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Der Ton des Briefs machte den Eindruck, als sei hier etwas nicht in Ordnung.«
»Aber ich habe dir keinen Brief geschrieben.«
»Es war ein Brief von einem Arzt, einem Dr. Taylor.«
»Dr. Taylor hat dir geschrieben?«
»Ja.« Ihre Tante setzte sich neben sie, zog einen zusammengefalteten Brief aus ihrer Handtasche und reichte ihn ihr. »Das war sehr klug, wirklich. Dein Onkel hätte deine Handschrift erkannt und mich gescholten. Das hier aber hätte er getrost lesen können ohne zu erkennen, dass es sich auf
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