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Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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unsensibel ich in Fragen der Schicklichkeit sein kann, aber selbst mir ist bewusst, dass die Bitte, allein mit mir in einer Kutsche zu fahren, unschicklich ist.«
    »Ist es dringend?«
    »Nicht sehr. Ein paar Stiche, die ich versorgen muss, damit sich keine Infektion entwickelt. Ich versprach, dass ich heute noch kommen würde, und nun ist heute schon fast vorbei. Ich kann nicht bis morgen warten, aber vielleicht verzeiht die Patientin mir, wenn ich ausnahmsweise einmal allein komme. Wenn ich es ihr erkläre …«
    »Sie lebt also allein?«
    »Genau genommen nicht. Sie hat drei Kinder, zwei eigene und eines, dessen Amme sie ist.«
    »Ich verstehe.«
    »Gut. Jetzt muss ich aber los. Entschuldigen Sie, dass ich Sie angesprochen habe, bevor ich richtig nachgedacht habe.«
    Er verbeugte sich und ging an ihr vorbei. Im Gehen setzte er den Hut auf und schlüpfte in die Ärmel seines Mantels.
    Charlotte drehte sich um und sah ihm nach.
    »Geben Sie mir einen Augenblick, um meinen Umhang zu holen und mit Mae zu sprechen«, rief sie hinter ihm her.
    Er wandte sich um. Sein Gesicht war müde. »Natürlich. Wenn Sie ganz sicher sind, dass Sie mitkommen möchten.«
    Sie zuckte die Achseln und lächelte fröhlich. »Ich werde meine größte Haube tragen, da erkennt mich keiner.«
    Und das tat sie auch.

    Sie fuhren durch die gepflasterten Straßen Londons. Die meiste Zeit schwiegen sie.
    »Machen Sie oft so spät noch Hausbesuche?«, fragte Charlotte im Plauderton. Auf das auffällige Schweigen, das ihrer Frage folgte, war sie nicht vorbereitet. Als sie zu Dr. Taylor hinüberblickte, sah sie, dass seine Augen schmal geworden waren. Er trieb das Pferd mit einem Zungenschnalzen zu größerem Tempo an und nahm die nächste Kurve sehr viel schärfer als nötig.
    »Nein«, antwortete er dann etwas verspätet und einsilbig.
    Sie nickte nur und blickte wieder geradeaus. Sein Ton ließ keine Nachfragen zu. Sie überlegte, was wohl Besonderes an dieser Patientin sein mochte, dass er so spät abends noch eine Visite bei ihr machte und zu allem Überfluss auch noch eine Anstandsdame mitnahm. Die Patientin war schließlich Amme und keine vornehme oder reiche Dame der Gesellschaft. Warum hatte sie solchen Einfluss auf ihn?
    Als sie vor einem schäbigen, dreistöckigen Mietshaus hielten und Dr. Taylor ihr beim Aussteigen nicht einmal die Hand bot, merkte Charlotte, dass er völlig in Gedanken versunken war und dass ihm wohl eine unangenehme Aufgabe bevorstand. Sie hob ihre Röcke ein wenig höher, als ihr angenehm war, doch es gelang ihr, ohne Fehltritt auf die schmutzige Straße zu gelangen.
    »Dr. Taylor?« Sie war gezwungen zu rufen, denn er war bereits ohne sie in den Hauseingang getreten, als hätte er ganz vergessen, dass sie hinter ihm war.
    Er blickte sich um, seufzte leise und hielt ihr dann die Tür auf. An der ersten Tür links blieb er stehen.
    »Sie brauchen nichts zu sagen«, flüsterte er. »Bleiben Sie einfach bei der Tür stehen.«
    Sie nickte, als hätte sie verstanden, und war fassungslos, als er einen Schlüssel aus der Brusttasche holte, kurz an die Tür klopfte und dann aufschloss und öffnete. Er ging hinein und bedeutete ihr, ihm zu folgen, aber in dem kleinen, engen Flur zu warten.
    »Sind Sie das, Taylor?«, rief eine heisere weibliche Stimme.
    »Ja«, antwortete er und legte seinen Hut auf eine Bank, auf der eigentlich kein Fleckchen mehr frei war.
    »Ist Mrs Krebs bei Ihnen?«, erklang die Stimme wieder.
    »Heute ist eine Schwester mitgekommen.«
    »Schade.«
    Mit einem Nicken zu Charlotte hinüber verschwand Dr. Taylor in dem nächstgelegenen Zimmer.
    »Nun wollen wir uns die Stiche mal ansehen«, hörte sie ihn sagen.
    »Zuerst will ich sie sehen«, sagte die Frau.
    Nach einer winzigen Pause rief Daniel: »Miss Smith, würden Sie bitte einen Augenblick hereinkommen? Miss Marsden möchte Sie gern sehen.«
    Charlotte trat vor und blieb in der Tür stehen. Eine attraktive, füllige Frau von vielleicht dreißig Jahren lag im Bett, gestützt von mehreren Kissen, eine Haube auf den blonden Locken. An jeder Brust hatte sie einen Säugling liegen und neben ihr schlief, friedlich zusammengerollt, ein Kind im Krabbelalter. Irgendwie gelang es der Frau, eine Hand freizubekommen, und sie steckte sich einen Keks in den Mund.
    Mit vollem Mund sagte sie: »Hoi … eine Hübsche. Und noch sehr jung.«
    »Das ist alles, Miss Smith.«
    Charlotte trat wieder einen Schritt zurück, doch die Stimme der Frau hielt sie auf. »Warten Sie

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