Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
dunkle Locken, so wie du. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum ich mich dir immer so nahe gefühlt habe.«
Charlotte sah ihre Tante von der Seite an, doch sie sah nicht sie, sondern Erinnerungen, wie durch buntes Glas, ganz besondere Augenblicke und Freundlichkeiten, gesammelt über einen großen Zeitraum hinweg. »Wie bist du darüber hinweggekommen?«, fragte sie ruhig.
»Ich bin nicht darüber hinweggekommen. Es ist ein Kummer, den ich jeden einzelnen Tag wieder neu bewältigen muss. Der Schmerz mag jetzt schwächer sein, aber er ist immer noch da. In den ersten Tagen und Wochen war es eine Folter – wie wenn einem bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wird. Aber wir haben nie darüber gesprochen. Es geschieht tagtäglich, dass ein Kind stirbt. Von den Frauen wird in diesem Fall erwartet, dass sie stark sind und versuchen, so bald wie möglich ein neues zu bekommen. Aber für mich gab es keinen zweiten Versuch. Ich habe zusammen mit meinem Kind meine Gebärmutter verloren.«
»Liebe Tante. Wie schrecklich für dich.«
»Ja. Genauso wie für dich.«
»Aber … du hast immer so fröhlich gewirkt. So glücklich, wenn du uns besucht hast.«
»Ich war glücklich. Oft. Vor allem, als deine Mutter noch lebte. Auch wenn ein Besuch bei deiner Familie immer schmerzlich für mich war. Meine Schwester mit ihren beiden schönen Töchtern. Und du, mit deinen dunklen Haaren und Augen … ich konnte dich nie ansehen, ohne an meine Tochter zu denken. Zu überlegen, wie alt sie jetzt wäre, wie sie sein würde, ob sie dir ähnlich wäre oder anders.«
»Das habe ich nicht gewusst.«
»Ich wollte meinen Kummer nicht öffentlich zur Schau tragen.«
»Das verstehe ich, aber wir hätten ihn mit dir zusammen tragen können.«
»Nun ja. Aus diesem Grund beiße ich mir ja auch jetzt auf meine puritanische Zunge und führe dieses Gespräch mit dir. Ich möchte diesen Kummer mit dir tragen, wenn du es mir erlaubst.«
»Natürlich. Aber du hast schon so viel für mich getan.«
»Unsinn. Ich habe überhaupt nichts getan. Ich wünschte, ich könnte dich mit zu mir nach Hause nehmen, aber dein Vater hat es verboten. Dennoch – begreifst du denn nicht, dass diese Situation – du im Haushalt eines Mannes – deine Familie noch stärker ins Gerede bringen würde?«
»Dr. Taylor geht nicht viel aus und empfängt auch niemanden bei sich zu Hause, wo die Leute mich sehen würden. Aber ich weiß schon, was du meinst.«
»Wirklich? Also empfindest du auch ein gewisses … Unbehagen wegen des Mannes?«
»Nein. Nicht wegen Dr. Taylor. Ich glaube, seine Absichten sind durch und durch ehrenhaft. Aber trotzdem bereitet mir der Gedanke, in seinem Haus zu leben, Unbehagen.«
»Hast du Angst, dass er dich nicht gut behandelt?«
»Nein. Ich glaube, er würde mich sehr gut behandeln. So wie hier auch. Aber weißt du, Dr. Taylor kennt unsere Familie. Er hat Mutter behandelt, als sie krank war.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Dr. Webb war Mutters Arzt, aber Dr. Taylor hat bei ihm famuliert, bevor er auf die Universität ging.«
»Er ist also noch ein junger Mann?«
»Ich glaube, er ist fünf oder sechs Jahre älter als ich.«
»Umso schlimmer.«
»Dr. Taylor empfindet nichts als Achtung für mich, sogar jetzt, nach allem, was er über mich weiß. Sieh mich nicht so an. Ich meine damit nur, dass er mich wie die Tochter eines Gentleman behandelt, wie eine Lady, obwohl ich mich nicht als eine solche erwiesen habe. Trotzdem halte ich deinen Rat für gut – glaubst du, deine alte Tante würde mich auch dann aufnehmen, wenn ich ein Baby mitbrächte, das nicht mein eigenes ist?«
»Oh ja, da bin ich ganz sicher! Sie hat mir umgehend geantwortet und geschrieben, dass es ihr ein Vergnügen wäre, dich und das Kind um sich zu haben, und ich glaube nicht, dass sie ihre Meinung deswegen ändern würde, wenn ich es ihr erkläre … ich weiß, dass du sie nicht anlügen würdest. Ich auch nicht, aber den Dorfbewohnern sollte man vielleicht nicht gerade auf die Nase binden, dass es nicht dein eigenes Kind ist.«
»Ist es besser, wenn sie mich für eine ledige Mutter als für eine Amme halten?«
»Ja. Ich fürchte, so ist es. Andere würden vielleicht vorschlagen, dich als junge Witwe einzuführen, aber ich kann eine solche List nicht gutheißen. Hoffen wir, dass die Entfernung von Doddington und das zurückgezogene Leben, das meine Tante führt, dir den Schutz gewähren, den du brauchst. Ich werde ihr schreiben und ihr deine Ankunft
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