Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
sie. Ihre Augen wanderten von Charlotte zu dem Kind und wieder zurück.
»Wer ist sie?«, flüsterte Sally.
Charlotte, die auf dem kleinen Stuhl neben der Tür saß, wandte den Kopf, um nach drüben zu lauschen, bevor sie antwortete. Als sie hörte, wie Katherine Margaret Dunweedy mit einer begeisterten Schilderung von Edmunds Taufe ergötzte – »Das Schönste, was London letztes Jahr gesehen hat, das kann ich Ihnen sagen« – griff sie nach der Klinke und zog die Tür ein wenig mehr zu. »Sally … ich …«
»Ist sie ein Findelkind?«
»Nun, in gewisser Weise ja …«
»Verflixt, Charlotte, ich wusste es! Du ziehst ein Kleines aus der Station groß statt deines eigenen kleinen Jungen, der im Himmel ist. Du bist wirklich eine Heilige.«
»Ich bin keine Heilige, Sally. Ich bin weit davon entfernt.«
»Für mich bist du eine.«
Charlotte öffnete den Mund, um Sally die Wahrheit zu sagen. Aber wie konnte sie zugeben, dass sie gelogen hatte, um die furchtbare Schande zu verbergen, die sie über ihre Familie bringen würde, wenn bekannt wurde, dass sie als Amme arbeitete – in jenem Beruf, den Sally für sich gewählt hatte?
»Alles, was ich sagen kann, ist, dass das kleine Mädchen eine Mutter brauchte. Deshalb sorge ich für sie – zumindest eine Zeit lang. Aber bitte, Sally, kein Wort zu Katherine oder irgendjemand anderem über meinen Sohn. Bitte! Ich kann dir nicht sagen, warum, aber es ist äußerst wichtig. Versprichst du es mir?«
»Aber wenn sie es wüsste, könnte sie …«
»Nein, Sally. Keiner darf es wissen. Niemals.«
Sally sah ihr forschend in die Augen. Schließlich sagte sie: »Gut, Charlotte. Wenn du es so willst.«
»Ich will es so. Es muss sein.«
Charlotte sah auf Anne herunter, die nur wenige Minuten getrunken hatte und dann wieder eingeschlafen war. »Oh Anne …«, murmelte sie und versuchte vorsichtig, das Baby aufzuwecken.
»Es hat keinen Sinn«, seufzte sie dann. »Sie hat den ganzen Tag kaum getrunken. Wahrscheinlich ist sie einfach zu müde.« Charlotte stand auf und legte das schlafende Kind wieder in die Wiege. »Sie hat letzte Nacht nicht gut geschlafen. Ich glaube, das arme kleine Ding hatte Ohrenschmerzen.«
»Hättest du etwas dagegen, wenn …« Sally schaute zu ihr hinüber, dann wieder weg, aber allzu beiläufig.
»Hmmm?«
»Nun, du solltest stillen und ich bräuchte dringend eine Pause. Der kleine Kerl hier ist immer kaum satt zu kriegen und ich wäre froh, wenn ich noch etwas Milch für die lange Heimfahrt hätte.«
Charlotte war fassungslos. Eine fast schmerzhafte Sehnsucht stieg in ihr auf, als sie Edmund betrachtete. Sally nahm ihn vorsichtig von ihrer Brust und stand auf, das Kind im Arm. Charlotte setzte sich wieder, immer noch unfähig, etwas zu erwidern, und Sally legte ihn ihr in die Arme.
»Hast du was dagegen, wenn ich mich auf dein Bett lege?«
»Natürlich habe ich das nicht«, flüsterte Charlotte. Sie starrte Edmund immer noch an.
Sally verschwand aus ihrem Blickfeld, doch Charlotte achtete nicht darauf. Ihr Verstand registrierte kaum das Quietschen der Bettfedern, als Sally sich hinlegte. Ihre Augen waren fest auf ihren Sohn geheftet. Sie legte ihn an ihre Brust und drückte ihn an sich. Sie spürte seinen feuchten kleinen Mund, das feste Saugen seiner Zunge, den süßen Stachel der Milch, die einschoss. Bittersüße Tränen liefen über ihre Wangen. Sie blickte hoch und sah, dass Sally auf dem Bett lag und sie aufmerksam beobachtete – zu aufmerksam.
Daniel Taylor stieg am The George aus der Postkutsche von London nach Brighton und ging langsam die High Street von Crawley hinunter. Im Gehen zog er den Fahrplan aus der Tasche und schaute noch einmal die Abfahrtszeiten nach. Fast ohne aufzusehen bog er zu Mrs Dunweedys Cottage ab und wäre beinahe mit Katherine Harris zusammengestoßen.
»Oh, Dr. Taylor, welch eine Überraschung, Ihnen hier zu begegnen!«
Er ließ den Fahrplan fallen.
»Lady Katherine!«
Er schnappte nach Luft. Dann beugte er sich hinunter, um den Fahrplan aufzuheben. Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er, dass sie Reisekleidung trug, und erst jetzt gewahrte er die große Kutsche in der Einfahrt. Im Stillen fluchte er über seine eigene Unaufmerksamkeit. »Ich bin erstaunt, Sie hier zu sehen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sie sagten doch, dass Sie keine Ahnung hätten, wo Charlotte sich aufhält.«
»Nun, ich … ich bin nicht hier, um Charlotte zu sehen, ich bin hier, um meine …«
»Dr. Taylor!« Mrs
Weitere Kostenlose Bücher