Die Lagune Der Flamingos
weiß ohnehin nicht, ob man jemanden heiraten kann, der wettet, dass er mehr Regenwürmer als man selbst in den Mund nehmen kann.«
Anna riss überrascht die Augen auf. »Hat sie das?«
»Ja.« Julius sah seine Frau an.
»Und sie hat gewonnen?«, wollte Anna wissen.
»Ja, sie hatte fünf im Mund, ich nur vier.«
»Wie alt wart ihr da?«
»Sechs oder sieben.«
Anna runzelte die Stirn. Nach allem, was sie jetzt gehört hatte, schien Sophie Knox eine unkomplizierte Frau zu sein. Trotzdem konnte sie sich eines mulmigen Gefühls nicht erwehren.
Beim Essen hatte Julius’ Vater sich dann wieder von seiner besten Seite gezeigt.
»Und?« César Meyer hatte den Löffel in die Suppe getaucht, aber im Folgenden keine Anstalten gemacht, ihn an die Lippen zu führen. »Waren Sie heute schon bei Ihrem Pfaffen, liebste Schwiegertochter? Es gab doch gewiss irgendeine Nichtigkeit zu beichten, seit Sie hier eingetroffen sind, oder nicht? Ihresgleichen kann doch keinen Schritt tun, ohne beim Pfäfflein um Erlaubnis zu bitten.«
Julius’ Löffel fiel polternd in den Teller. »Anna ist Lutheranerin, Vater.«
César zog die buschigen Augenbrauen hoch. »So? Ist sie das? Seit wann?«
»Seit der Hochzeit, Herr Meyer.«
Anna hatte ihren Kontrahenten fest angesehen und den Löffel mit sicherer Hand zum Mund geführt. Dankbar hatte sie ein unterstützendes Lächeln von Julius’ Mutter geerntet.
»Ich finde den Katholizismus eigentlich recht praktisch«, mischte sich nun Sophie ein.
Anna war unwohl bei dem Gedanken gewesen, Julius’ ehemaliger Verlobten zu begegnen, aber die ersten Minuten mit dieser Frau hatten sie rasch eines Besseren belehrt. Sophie war nicht ganz schlank, hatte ein rundes, freundliches Gesicht mit hübschen, großen braunen Augen und krauses, dunkles Haar, das sich sicherlich nur schwer bändigen ließ. Ihre Stimme klang für eine Frau etwas zu tief und irgendwie frech. In jedem Fall war sie nicht zu überhören. Ottilie hatte Anna zugeflüstert, dass Sophie sich dem Kampf um die Frauenrechte verschrieben hatte und als Gast gefürchtet war, da sie kein Blatt vor den Mund nahm. Alle Augen wandten sich nun ihr zu.
»Es ist ja so, dass wir Lutheraner eher die Katze im Sack kaufen müssen, oder wie sehen das die anderen hier? Wer weiß schon, wer von uns erwählt ist?«
»Das Himmelreich steht uns offen, wenn wir gottgefällig leben, Frau Knox. Der, der erwählt ist, wird ganz zweifelsohne gottgefällig leben, da braucht man keine Unterstützung durch den Pfaffen. Im Übrigen sollte der Glaube eine Sache zwischen Gott und dem Gläubigen sein«, beschied César sie knapp.
Julius überlegte offenbar, sich ebenfalls einzumischen, schloss aber den Mund wieder, als er das Lächeln sah, das sich in Sophies Mundwinkeln versteckte.
Ottilie tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Nun, wir wissen alle, dass es so einfach nicht ist, nicht wahr, Sophie?«, wandte sie sich an ihren Gast.
Die beiden Frauen lächelten einander an. Auch nach so vielen Jahren verstanden sie sich noch gut, obwohl Ottilie damals sehr enttäuscht gewesen war, als die Hochzeit ihres Sohnes mit Sophie geplatzt war – wenn auch aus anderen Gründen als ihr Mann.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie Ihr Mann Sie heiraten konnte«, mischte der sich jetzt wieder wenig charmant ein.
»Das versteht er sicherlich manchmal selbst nicht«, gab Sophie mit einem Schmunzeln zurück.
Im Verlauf des Abends hatte Julius Anna erzählt, dass Sophie einen britischen Weltreisenden, Schriftsteller und Gelehrten geheiratet hatte, von dem man Skandalöses munkelte. Bald wollten die beiden erneut in die Welt aufbrechen, in die Tiefe Afrikas hinein, nach Indien, wo Sophies Mann Verwandtschaft hatte, oder in die Höhen Nepals.
Anna erinnerte sich, dass sie bei dem Gedanken geschaudert hatte, sich in ein Land wie Afrika zu begeben mit nichts als dem Ziel, Erfahrungen zu sammeln.
Sie brauchte einen Augenblick, um wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Lächelnd betrachtete sie jetzt den friedlich schlafenden Säugling in ihren Armen. Leonora war von jeher ein pflegeleichtes Kind gewesen, ein kleiner Mensch, der sich, anders als ihre ältere Tochter Marlena damals, offenbar in jedem Augenblick den Umständen seines Daseins anpasste. Leonora ähnelte ihrer Großmutter Elisabeth, Annas Mutter, die die Kleine nie kennengelernt hatte. Sie hatte ihre grünen Augen und die gleiche Gesichtsform. Niemand sah Elisabeth so ähnlich, noch nicht einmal Lenchen,
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