Die Lagune Der Flamingos
verstanden?«
Das junge Mädchen nickte wieder. »Ja, genau. Und wie heißen Sie, Señor?«
»Entschuldigen Sie, wie ungehörig von mir.« Er verbeugte sich. »Eduard Brunner.«
»Sie kommen aus Deutschland?«, platzte das junge Mädchen nun auf Deutsch heraus.
Eduard nickte. »Sie offenbar auch, Señorita …«
»Mina Hoff.«
»Würden Sie mich zu einer Tasse Schokolade begleiten, Señorita Hoff? Ich kenne eine gute Konditorei, das Café Maria.«
Sie lächelte. »Ja, das würde ich gern.«
Eduard bot Mina den Arm, dann blickte er sich um und rief die nächste Kutsche herbei.
»Zum Café Maria, aber schnell!«
Gut zwei Stunden später war Mina zurück auf der Plaza Lavalle. Früher als sonst stellte sie die Suche nach Kunden ein. Eduard Brunner hatte ihr etwas Geld gegeben, für den Ausfall, den sie während des Besuchs der Konditorei erlitten hatte. Als sie das kleine Zimmer betrat, das sie mit ihrer Mutter teilte, war Annelie noch nicht da. Als diese aber kurze Zeit später eintraf, dauerte es nicht lange, bis Mutter und Tochter in Streit gerieten. Mina konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal gestritten hatten. Nicht mehr seit ihrer Flucht aus Esperanza jedenfalls.
»Was hast du dir dabei gedacht? Ich habe dich überall auf der Plaza gesucht. Ich dachte, wir gehen zusammen nach Hause. Todesängste habe ich ausgestanden.« Annelie sah ihre Tochter, die mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett saß und schadhafte Kleidungsstücke flickte, vorwurfsvoll an. »Und du hast diesem Fremden auch noch unsere Namen genannt? Wie konntest du nur?«
»Er kannte unsere Namen. Er hat sie schon in der pulpería gehört. Wir haben immer unsere richtigen Namen benutzt.«
»Vielleicht war das falsch«, überlegte Annelie.
»Mama, du hast immer gesagt, Xaver und Philipp würden uns gewiss nicht folgen. Sie seien zu faul …«
»Ja, aber was, wenn uns ein anderer aus Esperanza findet? Ein Freund deines Stiefvaters könnte …«
»Das hätten wir uns früher überlegen müssen«, unterbrach Mina ihre Mutter.
»Ich bin damals einfach nicht darauf gekommen, einen anderen Namen …«
Wieder fiel Mina Annelie ins Wort. »Es wird schon alles gut werden, Mama, mach dir keine Sorgen.«
Mina zog die Nadel jetzt konzentriert durch den Stoff ihres Unterkleides. Das Material war so minderwertig, dass es schnell riss. Fast täglich musste sie ihre Kleidung flicken. Sie hasste das.
»Der Fremde heißt übrigens Eduard Brunner«, sagte sie dann bedächtig, ohne aufzublicken. »Er leitet eine große Estancia bei Buenos Aires. La Dulce. Er ist nur vorübergehend hier, aber wenn ich es geschickt anstelle, das fühle ich, dann wird er uns sicherlich ein gutes Stück weiterhelfen.«
»Wenn du es geschickt anstellst?« Annelies Lachen klang hysterisch. »So wie bei Aurelio Alonso vielleicht? Was glaubst du denn, was er tun wird? Uns Geld schenken? Dieser Mann sieht dich, als das, was du bist: ein Mädchen, das man aus Armut nur zu leicht dazu bringt, die Beine breitzumachen.«
»Davon hat er nichts gesagt.«
»Ha, natürlich nicht.«
Annelies Stimme klang bitter. Sie hatte etwas von ihrer Angst verloren, seit sie geflohen waren, aber sie war auch ungerecht geworden. Mina zog erneut den Faden durch den Stoff und ermahnte sich innerlich zur Ruhe.
»Ich weiß, was ich tue«, beharrte sie. »Ich habe einen Plan«, fügte sie hinzu, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Bisher waren es eher vage Vorstellungen, manche so unwahrscheinlich, dass sie es gar nicht wagte, weiter darüber nachzudenken.
Annelie schüttelte den Kopf.
»Einen Plan, ja? Diesen Eindruck habe ich nicht. Zuerst einmal hast du leichtfertig unser Leben gefährdet. Wie ich schon sagte … Wir wissen nicht, ob man uns nicht doch sucht!«
»Wer? Xaver oder Philipp oder beide vielleicht? Warum sollten sie?«
Wie so oft erschien es Mina, als zögere ihre Mutter bei der Antwort unerklärlicherweise kurz. Dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung.
»Sie … oder jemand anderes eben, wie schon gesagt … Wir sind fortgelaufen. Was, wenn sie uns zurückholen?«
Mina zuckte die Achseln. »Glaubst du denn, dass so etwas geschieht? Wir haben doch nichts gestohlen. Wir sind auch keine Sklaven. Wir gehören nur uns. Vielleicht hat Xaver dich für tot erklären lassen und wieder geheiratet. Er hat doch immer gesagt, eine bessere Frau als dich findet er überall.«
Annelie runzelte die Stirn. »Xaver«, Mina hörte die Stimme ihrer Mutter
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