Die Lagune Der Flamingos
wiederzufinden. Nachdem er Mina nicht getroffen hatte, war er, hin- und hergerissen zwischen Angst und Hoffnung, zum ersten Mal wieder nach Esperanza gereist. Heimlich hatte er seine Mutter besucht, in der Hoffnung, Mina dort zu finden.
Doch es war alles anders gekommen. Mina, ihre Mutter und Xaver seien tot, hatte er von Irmelind erfahren. Natürlich hatte er das nicht glauben wollen, doch Näheres hatte er nicht in Erfahrung gebracht. Wie auch! Er wurde ja immer noch als Claudius Liebkinds Mörder gesucht, und ausgerechnet Philipp, sein unbarmherzigster Feind, hatte das Unglück überlebt.
Warum lebt dieses Ungeheuer noch?, fuhr es ihm nicht zum ersten Mal durch den Kopf, während er mechanisch den Mörtel für den nächsten Stein glättete. Ihm würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, den Tod wünschen.
Jedenfalls hatte er Esperanza unverrichteter Dinge wieder verlassen, bevor es zu gefährlich geworden war. Mina und ihre Mutter waren entweder tot oder vom Erdboden verschluckt gewesen, und er hatte keine Mittel herauszufinden, was geschehen war. Also war er nach Buenos Aires zurückgekehrt und hatte dort kurz entschlossen ein Schiff nach Nordamerika bestiegen. Nur weg, hatte er gedacht, nur weg.
Erst während der Reise hatte er sich vorgenommen, nicht aufzugeben und auch im folgenden Jahr zur Plaza de la Victoria zurückzukehren. Wieder hatte er vergeblich gewartet.
Vielleicht hatte seine Mutter Recht, vielleicht war Mina wirklich tot.
Mit einem Seufzer betrachtete Frank die neue Reihe Steine, die er während der letzten bohrenden Gedanken gemauert hatte. In den Monaten, die er bisher auf New Yorker Baustellen zugebracht hatte, hatte er gelernt zu mauern, als hätte er nie etwas anderes getan. Inzwischen hatte er sich Respekt erarbeitet, war nicht mehr nur Hilfsarbeiter, sondern ein gefragter Fachmann. Wallace war auch hieran nicht ganz unschuldig. Als gelernter Maurer hatte er Frank viel beibringen können und dies auch bereitwillig getan.
Frank nahm mit der Kelle neuen Zement auf und griff nach dem nächsten Stein, um seine Arbeit fortzusetzen. Er konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, als ihn ein seltsames Geräusch aufblicken ließ. Ohne genau zu wissen, woher es kam, schaute er sofort in Richtung Kran. Dieses Mal war es nicht der Balken, der in Schieflage geraten war, sondern der Kran selbst.
»Verdammt«, hörte er Wallace’ Stimme.
»He«, brüllte der Vormann, »der Kran darf nicht fallen, er darf nicht fallen.«
Die Hilfsarbeiter schrien wieder in den unterschiedlichsten Sprachen durcheinander. Frank hörte Spanisch, Deutsch, Irisch und Italienisch heraus. Ein paar Brocken hatte er hier und da schon gelernt. Wie gebannt starrte er zum Kran hinüber. Im nächsten Moment war ein Aufschrei zu hören. Der Kran neigte sich weiter. Die Arbeiter sprangen auseinander, doch nicht alle waren schnell genug. Mit lautem Getöse krachte der Kran zu Boden. Ein schriller Schrei war zu hören, danach herrschte einen kurzen Moment Totenstille, die bald durch eine helle Stimme unterbrochen wurde.
»O madre de Dios, o madre de Dios!«
Frank ließ die Maurerkelle fallen und rannte los. Er nahm Wallace’ Anweisungen brüllende Stimme wahr, konnte ihn aber nirgends ausmachen. Der Staub, der nach dem Sturz des Krans aufgewirbelt worden war, legte sich nur langsam. Wie durch eine Nebelwand sah Frank einige seiner Kollegen, die sich um zwei auf dem Boden liegende Männer scharten, von denen einer verzweifelt um Hilfe schrie, doch sie standen da, als seien sie gelähmt. Unter der Zuhilfenahme seiner Ellenbogen drängte sich Frank zu den Verletzten vor, dann blieb er unvermittelt stehen. Der eine Mann war sicherlich sofort tot gewesen. Ein Balken hatte ihm den Schädel zertrümmert, aber Frank wusste nicht, ob dieser Zustand nicht dem des anderen vorzuziehen war. Dieser Mann nämlich lag unter einem Balken, der ihn auf den Boden gedrückt hielt, und schrie und wimmerte unter offenbar großen Schmerzen.
»Kümmert euch um den Toten!«, sagte Wallace, der schon vor ihm den Unfallort erreicht hatte, auf Englisch.
Frank übersetzte auf Spanisch, bevor sie beide neben dem Schwerverletzten auf die Knie gingen. Dessen Wimmern war plötzlich leiser geworden. Aus glasigen Augen starrte er Wallace und Frank an, sein Blick war von Schmerz verhangen. Auf seiner bleichen Haut hatten sich winzige Schweißperlen gebildet. Sein lockiges schwarzes Haar ließ Frank vermuten, dass es sich um einen Iren handelte. In seiner
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