Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Kopf gegangen, wie gut es doch war, die Kraft eines Mannes zur Verfügung zu haben, doch war es bei ihm mehr um das Befördern von schweren Lasten gegangen. Beim Ernten und Verarbeiten der Pflanzen hatte er sich eher ungeschickt angestellt oder sich schlicht geweigert, mehr als nötig Hand anzulegen, schon deswegen, weil ihm oft bei Berührung der Kräuter die Nase lief und die Augen tränten. Dieses Problem hatte Laura nicht. Sie erledigte alle anfallenden Verpflichtungen so energisch, flink und zielsicher, als hätte sie seit Jahren nichts anderes getan.
Sie hatten die Erntearbeiten für diesen Tag beendet. Crestina winkte dem Träger, den sie für den Transport der Körbe angeheuert hatte. Der Mann rappelte sich von dem Baumstumpf hoch, auf dem er gesessen hatte, und ergriff die Leine des Esels, der daraufhin langsam hinter ihm herzockelte.
Laura kam mit erhitzten Wangen näher, den vollen Korb mit dem Odermennig in den Armen. »Müssen wir schon zurück?«
Crestina lächelte. »Für diesmal, ja. Aber nächste Woche kommen wir wieder her. Wir brauchen noch mehr Frauenminze und Schlafmohn. Und ein Bauer in der Nähe hat Flaschenkürbis hinterm Haus, ich will ein paar Triebe mitnehmen und am Schuppen hochranken lassen.«
»Hängen tu ich schon bei der Geburt, danach wachs ich im Hängen«, zitierte Laura fröhlich die Verse, die Crestina ihr vor kurzem vorgelesen hatte. »Mich wiegt im Hängen der Wind, mich nähren schaukelnd die Lüfte; also wenn ich nicht häng, werd ich später nicht lang sein!«
»Was soll das sein?«, fragte der Träger, der Crestinas Bemerkung über den Kürbis nicht mitbekommen hatte.
»Ein antikes Pflanzenrätsel«, sagte Laura. »Man kann es essen, und man kann es wachsen sehen, gut eine Handlänge am Tag. Es teilt sich dabei wie die Zinken einer Forke, es hält sich mit dünnen Armen fest und treibt Blätter gleich einem Herzen.«
»Habe ich es schon gegessen?«, wollte der Träger wissen.
»Da Ihr als Knecht bei dem Bauern arbeitet, an dessen Haus ich es gefunden habe, gehe ich davon aus«, sagte Crestina vergnügt.
»Die Kanonenkugeln«, sagte der Träger lachend. »Ich hab’s erraten!«
»Cucurbita«, sagte Laura, offenbar stolz, den lateinischen Namen zu kennen.
»Kürbis«, fügte Crestina für den Träger hinzu.
»Eure Enkelin ist ein kluges Mädchen«, meinte der Träger.
»Das ist sie«, sagte Crestina voller Wärme.
»Wo ist Eure Tochter? Sie war schon lange nicht mehr hier, oder?«
»Ihr wisst doch, dass sie nicht gut sieht und Schwierigkeiten mit dem Laufen hat.«
Crestina hätte hinzufügen können, dass Mansuetta nicht ihre Tochter und Laura nicht ihre Enkelin war und dass Mansuetta außerdem alle Hände voll zu tun hatte, auf einen quirligen Zweijährigen aufzupassen. Doch der Mann kannte ihre privaten Verhältnisse nicht gut genug, um über derlei Besonderheiten unterrichtet sein zu müssen.
Sie beluden den Esel mit den vollen Kräuterkörben und gingen gemeinsam zurück zum Strand, ein Fußweg von einer guten Stunde. Der Weg führte über sanfte Anhöhen und durch lichte Pinienwälder, vorbei an einsamen Gehöften und dem einen oder anderen Dorfflecken, der sich am Rand der Lagune, südöstlich von Mestre, in die Umgebung fügte wie eine bunt gewürfelte Decke, mit grasgrünen Auen, blauen Weihern und lehmgelben Häusern.
Schließlich erreichten sie den lang abfallenden Strand, wo das Boot vertäut lag. Im letzten Weiler, nahe beim Ufer, scheuchten sie den Bootsführer auf, der sich dort die Wartezeit in einer Schenke vertrieben hatte und sich die leicht glasigen Augen rieb, als Crestina ihn bat, das Boot klarzumachen.
Der Träger verabschiedete sich und zog mit dem Esel davon, nachdem alle Körbe auf das Boot geladen waren.
Der Bootsführer löste die Leine und entwirrte die Verspannung der Takelage. Nachdem er das Segel gehisst hatte und sich die Leinwand knatternd im Wind blähte, machten sie gute Fahrt.
Das Gefühl, mit dem Crestina das Mädchen betrachtete, kam so nahe an Glück heran, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatte. Das Leben hatte ihr jahrelang derart viele Sorgen und Befürchtungen beschert, dass sie es nicht mehr für möglich gehalten hatte, sich über so schlichte Dinge wie einen guten Wind, warme Sonne auf dem Gesicht und ein liebenswertes Kind an ihrer Seite freuen zu können.
Und liebenswert war Laura allemal. Sie war so bemüht, es allen recht zu machen, so dankbar für jede Aufmerksamkeit. Manchmal zeigte sich ihr
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