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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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neuen Versuch, mehr über sein Schicksal zu erfahren. »Für die Folter brauche ich keine Ketten.«
    »Wieso schwätzt du ständig von der Folter? Bist du so versessen darauf? Wozu sollen wir uns die Arbeit machen, jemanden ans Seil zu hängen, dem einfach nur die Hand abgehackt werden soll?«
    Antonio stolperte über die Fesseln, die seine Schritte behinderten, und er fiel nur deshalb nicht, weil der Wärter ihn am Kragen festhielt. Das Rasseln der Ketten fiel mit dem einsetzenden Vesperläuten zusammen, und das Geräusch der Glocken steigerte sich in seinen Ohren zu einem wilden Crescendo, als wäre der Tag des Jüngsten Gerichts angebrochen.
      September 1504
     
    Crestina lachte unwillkürlich, als Laura auf dem feuchten Gras ausrutschte und der Länge nach hinschlug. Strampelnd verschwand das Mädchen zwischen den hohen Halmen, um nur einen Herzschlag später wieder auf den Beinen zu stehen, so gelenkig in ihren Bewegungen, dass Crestina meinte, ein Fabelwesen vor sich zu haben. Laura war wie ein Schmetterling; wendig wie ein Tagfalter huschte sie von Blüte zu Blüte, roch an den Kelchen, prüfte ihre Reife und strich mit sanften Fingern über die Blätter, um Wuchs und Ergiebigkeit zu erfühlen. Sie flog förmlich über die Wiese, das rote Haar ein bauschiges Gespinst um ihren Kopf und die Augen wie klares Feuer in der Farbe des Himmels.
    Bei ihrem Sturz hatte sie sich das Knie angeschlagen; Crestina sah, wie sie sich kurz das Bein rieb, bevor sie weiterlief, unermüdlich in ihrem wilden Bewegungsdrang.
    In der Stadt benahm sie sich gesittet wie die meisten Mädchen ihres Alters, sie setzte brav einen Fuß vor den anderen und bemühte sich um ein gemächliches Tempo, auch wenn Crestina oft merkte, wie schwer es ihr fiel, sich gemessen fortzubewegen. Hin und wieder vollführte sie dann jedoch diese kleinen, ungestümen Hopser und Schlenker, tat ein paar Schritte rückwärts, ohne dabei nach hinten zu schauen, oder hüpfte mehrmals hintereinander auf einem Bein, als hätte ihr Körper einen eigenen Willen.
    Auf der Terraferma hingegen schien ihr Trieb, zu rennen und in die Höhe zu springen, grenzenlos. Bei ihrem ersten Ausflug hatte Crestina der Mund offen gestanden, als sie die Kleine beim Räderschlagen und den jagenden, weiten Sprüngen beobachtet hatte.
    »Warum tust du das?«, hatte sie verblüfft und fasziniert gefragt.
    »Ich weiß es nicht. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das mich dazu treibt, ich kann es nicht unterdrücken, wenn ich freies Land unter meinen Füßen habe.«
    Gelber Blütenstaub zog sich über Lauras Hände und ihre Nase, während sie, gefolgt von Crestina, über die Wiese streifte und dann am Rande des Wäldchens begann, den reifen Odermennig zu ernten. Das Kraut mit den auf der Unterseite dicht behaarten, fliederartigen Blättern wuchs auf hohen Stängeln vorwiegend an Waldsäumen und Heckenrainen, mit ährenähnlichen Blütenständen und gelben Kronen. Frisch gequetscht ergab die Pflanze ein gutes Heilmittel, das in Breiumschlägen angewendet werden konnte; es wirkte wundheilend und zusammenziehend. Aber auch getrocknet ließ sich der Odermennig sehr gut nutzen, vor allem im Winter, wenn die Blätter, mit heißem Wasser überbrüht, einen roten Sud ergaben, der bei Rachenentzündungen half und der Blutvermehrung diente.
    Rasch war der Korb bis zum Rand voll von den saftigen Gewächsen, und Crestina sagte sich wieder einmal, was es doch für ein Segen war, dass sie das Kind zu sich genommen hatte. Nicht dass ihr eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, schließlich handelte es sich um Annas Tochter. Doch im Nachhinein konnte sie voller Dankbarkeit erkennen, wie sehr sich dadurch alles zum Guten gefügt hatte, für sie selbst und auch für Mansuetta. Das Mädchen war ein Geschenk des Himmels. Schnell, mit rascher Auffassungsgabe und unstillbarem Wissensdurst gesegnet, hatte Laura nur wenige Wochen gebraucht, um die wichtigen Grundlagen der Kräuterkunde und der Behandlung und Verwendung alchimistischer Zusatzstoffe zu erlernen. Crestina hatte vorher nicht für möglich gehalten, dass ihre eigene, Jahr für Jahr zunehmende Gliedersteife in Verbindung mit den körperlichen Behinderungen, denen Mansuetta unterworfen war, tatsächlich eine solche Einschränkung bei ihrer Arbeit bedeutete. Richtig klar geworden war es ihr erst, nachdem Laura einen großen Teil der täglichen Last auf sich genommen hatte.
    Als Antonio für sie gearbeitet hatte, war ihr hin und wieder durch den

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