Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
ein paar Monate am Grunde eines Kanals zu lagern, danach könnte sie eher als antikes Stück durchgehen.
Antonio war seinem Rat gefolgt. Er hatte den Schock über den Betrug schnell überwunden und das nützliche Prinzip dahinter erkannt, obwohl er der Meinung war, dass eine Fälschung nur dann etwas taugte, wenn sie nicht zu schnell zu entlarven war. Anderenfalls konnte ein Betrug nicht sehr viel besser sein als das Stehlen – das Risiko, dabei geschnappt zu werden, war einfach zu hoch.
Nun, er besaß immer noch das Leder, und in seinem Kopf spukten bereits ein paar gute Ideen herum, was sich damit anstellen ließ.
Begeistertes Johlen wurde laut, und Antonio wurde aus seinen Gedanken gerissen. Der Junge, eben noch mit wilden Kopfstößen nach der Katze springend, war auf die Knie gesunken.
»O Himmel, der arme Bursche!«, rief Raffaele mitleidig aus. »Jetzt hat er sich so schinden lassen und doch verloren!«
»Irrtum«, sagte Antonio grimmig. »Er hat es geschafft. Die Katze ist tot.«
Das Tier hing schlaff und reglos am Strick. Einer der Zuschauer ging hin und hieb mit launiger Geste gegen den Kadaver. Antonio beeilte sich, zu seinem Kämpfer zu kommen. Er löste ihm die Handfesseln und zog ihm vorsichtig die Augenbinde vom Gesicht.
Der Junge – er war letzten Monat zwölf geworden und recht stämmig für sein Alter – stöhnte unterdrückt. Antonio atmete scharf ein, als er die tiefen Schnitte in den Wangen und über der Oberlippe sah.
»Ist es schlimm?«, fragte der Junge.
»Nicht sehr«, log Antonio. »In ein paar Monaten sieht man nichts mehr davon.«
»Ich hab’s geschafft, oder?«
»Ja, du hast es geschafft. Du warst hervorragend.«
»Verdammt, wenn es nur nicht immer so höllisch wehtäte!«
Antonio legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und schluckte die aufsteigende Übelkeit herunter. Jeder tat das, was er musste. Der Junge, er selbst, die Zuschauer, die sich an dem blutigen Spiel und der Gewalt berauschten. Er holte die abgezählte Siegessumme heraus und legte noch ein paar Münzen dazu. Das Geld drückte er dem Jungen in die Hand, der sich nicht die Mühe machte, nachzuzählen. Seine Kämpfer konnten sich auf ihn verlassen, und er sich auf sie.
Die wenigen Zuschauer, die auf den Jungen gesetzt hatten, drängten sich bereits heran, um ihren Gewinn zu kassieren. Sie grinsten breit, denn die Quote war ausnehmend gut. Die meisten Männer hatten auf die Katze gesetzt, ein wildes Biest, das schon drei Kämpfe unbeschadet überstanden und ebenso viele Gegner zum Aufgeben gezwungen hatte. Antonio gab ihnen ihr Geld, in dem sicheren Bewusstsein, dass der Tag ihm dennoch gute Einnahmen beschert hatte. Er konnte mit reichlich Gewinn nach Hause gehen. Im Gegensatz zu dem Jungen, der sich soeben ein schmutziges feuchtes Tuch auf das blutüberströmte Gesicht presste und von einem seiner Freunde weggeführt wurde, vermutlich zu dem elenden Loch, das er sich mit ein paar Arsenalotti teilte, nur wenige Häuser von demjenigen entfernt, in dem Antonio früher mit den anderen Straßenkindern gehaust hatte.
Antonio musste zu seinem Verdruss häufiger daran zurückdenken, als ihm lieb war. Am liebsten hätte er diese Zeiten für immer vergessen, vor allem den ständig nagenden Hunger, den allgegenwärtigen Dreck und Gestank sowie das Ungeziefer. All das war jedoch meist mehr oder weniger präsent, wenn er sich erinnerte, ein Vorgang, den er trotz aller Ablenkungsversuche kaum unter Kontrolle hatte.
»Woran denkst du?«, wollte Raffaele wissen. Er war von ständiger Neugierde beseelt und ließ selten eine Gelegenheit aus, seinem Assistenten mit allen möglichen Fragen und Erklärungen zu seinen – Antonios – Gedankengängen in den Ohren zu liegen.
»An nichts Besonderes«, sagte Antonio. Gemeinsam gingen sie zum nächstliegenden Kanal, wo sie eine Gondel mieteten, die sie zum Theater bringen sollte.
»Du denkst wieder an früher«, stellte Raffaele fest. »Du hast immer diesen versunkenen Ausdruck, wenn du an dein altes Leben denkst.«
Antonio ärgerte sich über die Scharfsicht des Alten, doch er konnte nicht umhin, Raffaeles Lächeln zu erwidern, zum einen, weil es so aufrichtig war, und zum anderen, weil er mit seinen wenigen vergilbten Zahnstümpfen aussah wie eine verschmitzte Ratte, wenn er grinste. Antonio mochte den Alten, auch wenn es ihm an manchen Tagen lästig war, ihn ständig an den Fersen kleben zu haben.
»Es ist nicht so sehr das Leben von früher, an das ich denke,
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