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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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aufgepasst hatte, der an jenem Morgen fieberte, hatte sie die Abwesenheit der beiden Frauen ausgenutzt und sich in dem Spiegel betrachtet, der in Crestinas Schlafgemach hing. Anna Monteverdi hatte einen kleinen, angestoßenen Spiegel besessen, in dem man nur sein Gesicht sehen konnte, und der Spiegel von Crestina war auch nicht viel größer. Crestina selbst benutzte ihn kaum; höchstens, dass sie einmal kurz hineinblickte, wenn sie den Sitz ihrer Haube überprüfen wollte. Mansuetta schaute dagegen häufig in den Spiegel, obwohl sie es meist dann tat, wenn sie meinte, dass niemand es merkte. Allerdings ließen sich in einem Haus mit lediglich einem gemeinsamen Wohnraum und drei winzigen Schlafkammern kaum private Verrichtungen ausführen, von denen niemand etwas mitbekam, und so hatte Laura Mansuetta schon des Öfteren dabei beobachten können, wie diese sich im Spiegel betrachtete, besonders dann, wenn sie meinte, dass Laura bereits schliefe. Wie sie ihren Kopf dabei auf eine Weise drehte, dass ihr schiefes Gesicht in einem günstigeren Blickwinkel erschien, oder wie sie ihr Haar seitlich in die Stirn fallen ließ, um das tiefer sitzende Auge zu bedecken. Manchmal lachte Mansuetta sich auch im Spiegel an, strahlend und mit makellos glänzenden Zähnen, doch das Lachen selbst wirkte künstlich, und wenn ihm überhaupt eine Regung innewohnte, dann war es Verzweiflung.
    Im vergangenen Sommer, an jenem Sonntag, als Crestina und Mansuetta in der Kirche waren, war Laura ihr eigenes Spiegelbild noch vertraut erschienen. Ihre Haut war vom Aufenthalt auf der Terraferma gebräunt und mit zahllosen Sommersprossen übersät, ihr Haar so rot wie eh und je.
    Die Schneiderin hatte in ihrer Nähstube einen Spiegel, der einem beinahe die vollständige Gestalt zeigte, wenn man in entsprechender Entfernung davorstand. Laura starrte das Geschöpf an, das ihr aus der silbrigen Fläche entgegenschaute, und zum ersten Mal bekam sie eine genauere Vorstellung davon, wie sehr sie sich verändert hatte. Natürlich war sie noch dieses Mädchen dort im Spiegel, rothaarig, sommersprossig, mit dicht bewimperten Augen und der keck nach oben gebogenen Nase. Doch war das ihr Mund, mit den vollen, wie zum Kuss geschürzten Lippen, und konnte das ihr Hals sein, so geschwungen und schmal, fast zerbrechlich im Übergang zu den Schultern? Und die Wölbung ihres Busens über dem Blusenausschnitt, zwar nur zu ahnen, aber dabei zugleich so ungeheuerlich verrucht, dass sie instinktiv beide Hände darauflegte, um die Stelle zu überdecken. Gleichzeitig presste sie die Lippen zusammen, um sie schmaler wirken zu lassen.
    »In wenigen Jahren wird Eure Enkelin Aufsehen erregen«, prophezeite die Schneiderin. »Ihr werdet sie sicher gut verheiraten können. Sie ist einzigartig. Dieses Gesicht, dieser Körper!« Kritisch fügte sie hinzu: »Gegen die Sommersprossen sollte häufiger Zitrone angewendet werden.«
    Crestina sagte nichts darauf, und Laura stolperte anschließend verlegen hinter ihr her aus dem Laden, in dem sicheren Wissen, dass sie vor Beschämung gestorben wäre, wenn auch nur noch ein einziges Wort über ihren Körper gesprochen worden wäre.
    Als sie das Kleid zum nächsten Kirchbesuch trug, war sie froh, dass sie wegen der Kälte einen Umhang brauchte, denn so konnte niemand sehen, wie sich Hals und Busen von dem strahlend blauen Gewand abhoben. Der schmaläugige Blick, den Mansuetta ihr während des Ankleidens zugeworfen hatte, war ihr schon unangenehm genug gewesen.
    In der darauffolgenden Nacht träumte sie wieder, durch ganz Venedig zu irren, weil sie die Apotheke nicht finden konnte.
    Sie hatte häufig Albträume, meist solche, aus denen sie schweißgebadet aufwachte, weil sie geträumt hatte, wieder in dem Loch am Corte Cavallo zu hausen. Sie musste fort, weil Valeria einen Freier erwartete. Oder von früh bis spät aufpassen, dass die Zwillinge ihr verstecktes Essen nicht stahlen. Dann wieder träumte sie, beim Beutelschneiden erwischt zu werden, und sie spürte den Luftzug der herabsausenden Axt, mit der ihr die Hand abgeschlagen wurde. In manchen Träumen war sie auch wieder im Hause ihrer Eltern, und sie betrachtete den geflügelten goldenen Löwen an der Wand ihres Zimmers, der während ihrer Kindheit über sie gewacht hatte. Sie hörte die Stimme ihres Vaters, der sie aufforderte, sich von den Schwingen des Löwen über die Lagune davontragen zu lassen. Im Schatten sah sie bereits den Mann mit der Maske und dem Mal an der Hand, der

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