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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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gekauft hatte, zu Füßen der Euganeischen Hügel südöstlich von Padua. Giacomo hatte ihnen das Gebiet auf der Landkarte gezeigt, doch für Carlo war das nichts weiter gewesen als Striche und Schraffuren auf Pergament, nicht annähernd so interessant wie etwa der große Vogelschauplan von de’ Barbari, der die ganze Stadt Venedig in all ihren Einzelheiten zeigte. Über diesem Plan konnte Carlo stundenlang sitzen und jedes der unzähligen Details betrachten, von denen er stets neue entdeckte, weil es viel zu viele waren, um sie auf einmal zu erfassen.
    Die Terraferma nun mit eigenen Augen zu sehen verstörte und begeisterte ihn zugleich. Die freie Weite des Landes war, wenn auch größtenteils durch den Nebel verhüllt, ein derart erstaunlicher Anblick für ihn, dass er sich unwillkürlich fragte, warum er davon so beeindruckt war. Es hätte ihm einleuchten können, wenn er nie eine unberührte Landschaft gesehen hätte, doch dem war nicht so, im Gegenteil. Dort, wo er seine Kindheit verbracht hatte, bevor er zusammen mit seinem Vater gefangen genommen worden war, dort, wo die Weiten unendlicher waren als alles, was er danach von der Welt erblickt hatte, hatte die Natur von einem Horizont bis zum anderen gereicht, mit schroff ansteigenden Bergen, die bis zum Himmel hinaufwuchsen und hoch oben in den weißen Wolken verschwanden. Mit gewellten Sandflächen, die sich so weit ausdehnten, dass mehrere Dutzend Tagesmärsche nicht reichten, sie zu durchqueren, und mit wogendem Grasland, das die Jäger wochenlang durchstreifen konnten, bevor sie auf Menschen aus einem anderen Stamm stießen.
    Dieses Flüsschen hier – die Brenta – hätte ihm winzig und armselig vorkommen müssen, so wie ihm Venedig bei seiner Ankunft vor vielen Jahren als enges, steinernes Dämonenland erschienen war. Doch die Wahrheit lag allein im Auge des Betrachters, und dieses wiederum orientierte sich ausschließlich an Gewohnheiten. Hatte er vor seinem Leben in Venedig nur die scheinbare Endlosigkeit seiner früheren Heimat gekannt, so war ihm vor diesem Ausflug zum venezianischen Festland nur die mit Häusern und Menschen vollgestopfte Stadt gegenwärtig und vertraut gewesen. Folglich war es allein die Umstellung, die jeweils den Eindruck von Weite oder Enge ausmachte.
    Die Flusslandschaft, die sich vor ihm erstreckte, war lieblich und einladend. Eine sanfte Melancholie schien über der Umgebung zu liegen, wozu Regen und Nebel ihr Übriges taten, indem sie alles in einen feinen Schleier hüllten: das Gras der Böschung, die Weidenbäume, die sich über das Ufer zum Wasser neigten, sowie die Pappeln, Zypressen und herbstbraunen Kastanien, die jenseits der Niederungen wuchsen.
    Die Namen der Bäume und Pflanzen kannte er ebenso wie die der Vögel, Fische und übrigen Tiere der Serenissima. Er hatte sie studiert, mit derselben Mühelosigkeit, mit der er auch Latein, Griechisch, Mathematik und Philosophie erlernt hatte, im Unterricht bei dem Hauslehrer, den Giacomo bezahlte.
    »Du bist ein Wunder, Carlo«, hatte Giacomo einmal triumphierend gesagt. »Du warst ein leeres Blatt, als du zu mir kamst, unzivilisiert wie ein Höhlenmensch Platons. Und innerhalb kürzester Zeit warst du klüger als die meisten weisen Männer dieser Stadt. Dein Latein ist geschliffen, du bist in der Philosophie zu Hause wie ein alter Grieche, und du liest und verstehst die Summa von Pacioli im Vorübergehen. Ich habe einen wichtigen Beweis geführt, Carlo. Die allseits anerkannte Behauptung, ein moro nero sei von niederem Verstand, ist falsch. Verstehst du? Einfach falsch! Von mir widerlegt! Er kann zehnmal – ach, was sage ich – hundert-, tausendmal so klug sein wie der weiße Mann!« Er hatte die Stimme gesenkt und Carlo von unten herauf angeblickt, mit diesem unheiligen Feuer in den Augen, das auch in seiner Seele brannte. »Du bist von den Göttern des Olymp herabgestiegen, ein der Anbetung würdiges Geschöpf, und ich gewähre dir Schutz und Verehrung, wie sie es fordern. Sei meiner Liebe gewiss. Auf immer.«
    Carlo hatte darauf nichts erwidert, sondern sich gewünscht, Giacomo zu töten, wie immer, wenn dieser von seiner Liebe sprach.
    »Wir sind da!«, rief Giacomo mit beinahe kindlicher Aufregung in der Stimme. Er war von der Ruderbank aufgestanden und hielt sich am Mast fest, während der Barcaruolo, unterstützt von Silvio, dem Diener, das Boot an einem ins Wasser ragenden Steg vertäute. Zwischen den Nebelfetzen tat sich vor Carlos Blicken ein ausgedehntes

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