Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
spannten. Hier am Rialto, dem Herzen von San Polo, war wie immer an Markttagen Hochbetrieb. Die Leute sammelten sich an Verkaufsständen und vor Ladeneingängen, und das laute Feilschen der Händler und Marktweiber erfüllte die Luft. Auf der breiten Wasserfläche des Canalezzo herrschte ein unübersichtliches Gedränge von Booten aller Art. Bunt gestrichene, mit Wimpeln geschmückte Gondeln zogen an den schwerfälligeren Lastkähnen vorbei, und vereinzelt waren auch kleinere, aber seetüchtige und mit Kanonen bestückte Galeeren zu sehen, die Soldaten in voller Bewaffnung beförderten. Der Krieg mit den Türken ging schon ins dritte Jahr, und obwohl die feindlichen Schiffe es bisher nicht geschafft hatten, in die Lagune vorzustoßen, war die Beklemmung in der Stadt allenthalben zu spüren. Ständig wechselnde Gefechte im gesamten adriatischen Raum ließen die Bedrohung allgegenwärtig bleiben, und die Schauergeschichten, die sich die Leute über die osmanischen Gräueltaten erzählten, sorgten zusätzlich für die Verbreitung von Furcht und Hass.
Schließlich erreichte Antonio die Rialtobrücke, die San Marco mit San Polo verband. Die kunstvolle Holzkonstruktion wies an den Pfeilern und Verstrebungen hier und da bereits morsche Stellen auf, und wenn schwere Karren über die Planken gezogen wurden, die den oberen Teil der Brücke bildeten, war manchmal ein bedenkliches Knirschen zu hören.
Antonio hatte schon mehrfach beobachtet, wie die Brücke in diesem Bereich geöffnet wurde, um Schiffen mit hohen Masten die Durchfahrt zu ermöglichen, und er stellte sich jedes Mal vor, die Brücke würde genau dann zusammenbrechen, wenn ein Schiff den Canalezzo an dieser Stelle passierte. Die allgemeine Aufregung wäre mit Sicherheit enorm, und er würde stehlen können, bis ihm die Taschen platzten. Leider hatte er bisher nur mäßig aufregende Ereignisse für Beutezüge nützen können, etwa den Sklavenaufstand von neulich, oder eine der seltenen öffentlichen Hinrichtungen auf der Piazzetta. Der Karneval war in dieser Hinsicht etwas ergiebiger, aber während der wilden Feiertage hatten die Leute kaum Geld in den Taschen. Alle Betrunkenen, die er bislang wehrlos auf dem Pflaster schnarchend vorgefunden hatte, waren entweder zu arm oder zu schlau gewesen, um mehr als ein paar armselige Münzen mit sich zu führen. An Karneval war die Ausbeute meist karg, wenn auch das Risiko kleiner war.
»Eine milde Gabe, guter Herr!« Ein einbeiniger Bettler, der am gegenüberliegenden Ufer hockte, streckte die knotige Hand aus, als Antonio über die Brücke kam. »Nur eine kleine Kupfermünze, und ein Platz im Himmel ist Euch sicher!«
Dann schien der Bettler trotz seiner triefenden Augen zu erkennen, dass hier wenig zu holen war. Er spuckte verächtlich aus und drückte sich gegen die Wand, an der er hockte, die Hand um einen Knüppel gekrampft, offenbar entschlossen, seine Tageseinnahmen bis aufs Blut zu verteidigen.
Antonio achtete nicht auf den Bettler, er war zu tief in Gedanken versunken. Ein paar Schritte weiter wich er mechanisch einem Händler aus, der fluchend und schwitzend mit seinen Gehilfen Fässer von einem Lastboot lud.
Einem Hund, der ihn aus einem Hauseingang heraus zuerst anknurrte und sich dann mit gefletschten Zähnen auf ihn stürzte, verpasste er einen beinahe beiläufigen Tritt mit dem Holzschuh. Das Tier, ein ausgemergelter Gassenköter undefinierbarer Rasse, kniff aufheulend den Schwanz ein und schoss davon.
Antonios Weg führte an einer Reihe kostbar bemalter, mit Stuck und Marmorloggien verzierten Palazzi vorbei, deren Läden gegen die grelle Sonne geschlossen waren.
Über einen Campo gelangte er in eine Salizada und bog schließlich in eine winzige, nach Holzrauch und Leder riechende Gasse ein, die von eng stehenden Häusern gesäumt war. Kaum zwei Armlängen über seinem Kopf stießen die Auskragungen der einander gegenüberliegenden Fassaden fast zusammen, sodass nur wenig Tageslicht durch den Spalt in die Gasse fiel. Mehrere Läden reihten sich im Dämmerlicht des schmalen Durchgangs aneinander: eine Schusterwerkstatt, ein kleiner Laden, in dem Krämerware feilgeboten wurde, und schließlich, fast am Ende der Gasse, die Apotheke.
Antonio war seit Mariä Lichtmess schon drei Mal hier gewesen, um Medizin für Cecilia zu kaufen, und bisher hatte ihr der Sud, den er aus dem vertrockneten Grünzeug gekocht hatte, immer recht gut geholfen.
Die Alte, die den Laden führte, war ihm ein wenig unheimlich, fast
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