Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
voller Angriffslust anfunkelte.
Anscheinend war Antonio in diesem Moment dasselbe in den Sinn gekommen wie Valeria, die hinter ihm gestanden hatte und halb ehrfürchtig, halb sarkastisch bemerkte: »Sieh nur, wie hoch er springen kann! Und mit welcher Kraft! Er wäre ein guter Katzentöter.«
»Du hast recht«, hatte Antonio erwidert, während er in seine Gürteltasche langte und dem Schwarzen mit gezieltem Wurf ein Stück Räucherwurst vor die nackten, verhornten Füße schleuderte. Mit dem Katzenspiel ließ sich tatsächlich eine Menge Geld verdienen, vorausgesetzt, man war derjenige, der die Wettgelder einsammelte, und Antonio hatte sich geschworen, genau das eines Tages zu tun. Diejenigen, die sich die Hände auf dem Rücken fesseln ließen und mit verbundenen Augen versuchten, die am Strick hängende Katze mit Kopfstößen zu erledigen, bekamen höchstens ein Taschengeld. Und Narben, die wochenlang wie Feuer brannten. Er selbst hatte vor einem Jahr damit aufgehört und sich lieber aufs Stehlen verlegt, nachdem eines dieser wilden, räudigen Biester ihm die Wange aufgeschlitzt und einem anderen Jungen durch die Binde hindurch ein Auge ausgekratzt hatte. Am meisten hatte es Antonio geärgert, dass der Wettleiter an ihnen beiden verdient hatte, denn der Kerl hatte dafür gesorgt, dass alle auf die Katze setzten, die sich beim Kampf gebärdet hatte wie die Höllenbestie persönlich.
Seit seinem Auftauchen war Carlo Mitglied der Gruppe und schlief inzwischen auch bei ihnen im Haus. Antonio hatte Carlo ermuntert, mit ihnen durch die Stadt zu streifen, und nach anfänglichem Zögern war der Schwarze ihnen gefolgt. Er sprach nie aus eigenem Antrieb zu ihnen, aber wenn man mit ihm redete, hörte er stets aufmerksam zu, fast so, als wolle er jedes einzelne Wort in sich einsaugen.
Er fing im seichten Wasser der Lagune Fische, die er mit ihnen teilte, wenn sie ihm im Austausch dafür Fleisch, Brot oder Obst gaben. Seine Art zu fischen war merkwürdig, aber meist erfolgreich: Er stand reglos bis über die Knie im Wasser, in der Hand einen angespitzten Stock, manchmal länger als eine Stunde, und dann, so ruckartig, dass einem der Schreck in die Glieder fuhr, wenn man zuschaute, zischte der Stock ins Wasser und kam gleich darauf mit einem aufgespießten, wild zappelnden Fisch wieder zum Vorschein.
Cecilia hatte Zutrauen zu dem langgliedrigen, dünnen Jungen gefasst, und oft hörte Antonio belustigt zu, wie sie ihm einzelne Worte für einfache Dinge beibrachte, die er dann mit seiner eigenartig kehlig klingenden Stimme wiederholte.
Auch Oratio und Tomàso machten sich hin und wieder einen Spaß daraus, dem Schwarzen neue Wörter beizubringen, je schlüpfriger und schmutziger, desto besser. Wenn sie nicht gerade irgendwo in dem menschenleeren Brachgelände am Nordrand der Stadt umhertollten, vertrieben sie sich die Zeit mit unflätigem Geschwätz, an dem sie den Schwarzen unbekümmert teilhaben ließen.
Die Zwillinge geboten zudem über ein Vokabular an Flüchen, die jeden Pfaffen und jede Nonne vor Entsetzen ohnmächtig hätten umsinken lassen. Auf gotteslästerliches Fluchen stand der Tod, und wären die beiden nicht erst acht Jahre alt, hätte ihr Gerede sie schon längst den Kopf gekostet.
Sie balgten in Rufweite zwischen den Büschen herum, die das unbewohnte Gelände zum nächstgelegenen bebauten Teil des Sestiere hin abgrenzten. Ein wenig südlich von den brackigen Wasserläufen, die am äußeren Rand von Cannaregio in die Lagune mündeten, erstreckte sich das Areal eines Frauenklosters, dessen Gemüse- und Kräutergärten von mannshohen Mauern umfriedet waren. Manchmal klangen Gekicher und Satzfetzen von Unterhaltungen der Nonnen herüber, aber ansonsten machten sich die Bewohner des Klosters kaum bemerkbar. Die Kinder hatten ihre nachmittägliche Spielidylle meist ganz für sich allein. Hin und wieder glitten Boote auf dem sumpfigen Wasser der Lagune vorbei, doch an der kleinen Brache hinter dem Kloster gab es keine Anlegestelle, sodass niemand ihnen diesen Platz zwischen Büschen und Schilf streitig machte.
Oratio verpasste Tomàso einen Hieb in den Magen, dann drehte er sich um und rannte davon. Lachend und schimpfend zugleich folgte Tomàso seinem Bruder, und als er ihn eingeholt hatte, stürzten sie sich in eine Keilerei, bei der ein unvoreingenommener Betrachter geschworen hätte, dass sie eher bösartig als brüderlich war. Doch Antonio, der die beiden gut genug kannte, verschwendete keinen zweiten Blick
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