Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
sie sich vor den Mund presste, als könnte sie auf diese Weise das Leben in ihrem Körper halten, obwohl es doch am Ende so drängend hinausgestrebt hatte. Es hatte sich bei ihr länger hingezogen als bei Cecilia, jedenfalls kam es ihm im Rückblick so vor. Er erinnerte sich nicht mehr an Zeiträume, nur an die schleppenden Ewigkeiten, in denen sie schwach und krank auf der Bettstatt lag und der Hunger sie alle drei plagte, bis Nonnen aus dem nahe gelegenen Kloster ihnen zu essen brachten. Himmel, wie furchtbar der Hunger gewesen war! Er hatte geweint vor Dankbarkeit und Erleichterung, als die Nonnen kamen. Sie hatten auch dafür gesorgt, dass die Mutter ein würdiges Begräbnis bekam. Wie sehr er sich hinterher geschämt hatte, dass er während ihres Todeskampfes nur ans Essen hatte denken können!
»Meine Schwester ... Sie wird sterben«, sagte Antonio benommen.
»Irgendwann müssen wir alle sterben.«
»Aber sie ist noch so klein!« Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren dünn und kindlich, und er hasste sich für seine Schwäche, hasste die graue alte Frau, hasste Gott, der dies zuerst seiner Mutter angetan hatte und jetzt seiner Schwester. Verflucht sollte er sein!
Er erschrak, kaum, dass er das gedacht hatte, denn Gott zu verfluchen war Häresie, die mit ewiger Verdammnis im Höllenfeuer bestraft wurde, auch wenn man es nur in Gedanken tat. Peinlich berührt widerstand er dem Drang, auf der Stelle niederzuknien und den Allmächtigen um Vergebung anzuflehen; es gelang ihm halbwegs auch im Stehen, für seine sündigen Gedanken Abbitte zu leisten. Wer sollte denn seine Gebete um Cecilias Seelenheil erhören und sie in Gnade bei sich aufnehmen, wenn nicht der Vater im Himmel?
Antonio schluckte Angst und Wut hinunter und trat einen Schritt vor. »Sie kann sich doch wieder erholen, oder?«
»Sicher. Auch der hartnäckigste Husten kann vorübergehen.« Die Miene der Alten drückte Mitgefühl aus, und diesmal war Antonio beinahe sicher, dass es nicht nur aufgesetzt war, um ihm Geld zu entlocken, sondern dass es einer echten Regung entsprang.
»Könnte ein Medicus ihr helfen?«, platzte Antonio heraus, von der wilden Hoffnung erfüllt, dass dieser Gedankenblitz dazu taugte, alle Probleme zu lösen.
»Ein Medicus würde sie nur zur Ader lassen und dafür mehr Geld verlangen, als du hast. Spar dir das lieber, dann hast du etwas übrig, um es ihr leichter zu machen. Halte sie warm und bereite ihr reichlich von dem Sud zu, für den ich dir auch das letzte Mal schon Kräuter mitgegeben habe. Mach es so, wie ich es dir erklärt hatte. Wie es geht, weißt du doch noch, oder?«
Er nickte stumm.
»Habt ihr für den Winter schon ein heizbares Quartier?«
Er nickte abermals.
Die Alte bückte sich und raschelte hinter der Theke herum. Sie kam mit einem sauberen Leinensäckchen wieder zum Vorschein, das sie mit einer Kordel verknotete und ihm überreichte. »Bereite ihr davon täglich einen Aufguss zu. Sie sollte ihn heiß trinken, notfalls kannst du ihn wieder aufwärmen, wenn sie nicht alles auf einmal schafft.«
Er kratzte sich unter dem Arm und betrachtete den Beutel, der starken Kräuterduft ausdünstete. »Was bin ich Euch schuldig?«
Die Alte wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch dann zögerte sie und seufzte. »Behalte dein Geld«, sagte sie schließlich. »Kauf dafür Honig und gib ihn in den Sud, dann schmeckt es besser und wirkt auch stärker.« Sie drehte sich um und pochte an die Tür, die hinter der Theke in einen weiteren Raum führte.
»Mansuetta!«, rief sie.
Die Tür öffnete sich knarrend in ein Hinterzimmer, in dem es um einiges heller war als im Ladenraum. Im rückwärtigen Teil des Hauses musste ein Fenster oder eine Tür offen stehen, denn der Raum war von Sonne durchflutet. Die hinkende, verwachsene Gehilfin der Alten erschien in der Tür, ebenso grau gekleidet wie die Inhaberin, doch die Haarsträhnen, die unter ihrer Haube hervorlugten, leuchteten im Gegenlicht wie rotes Feuer. Sie musterte Antonio von der Seite, die Gesichtshälfte, die nach unten weggerutscht schien, halb von ihm abgewandt.
»Gib ihm ein Flohsäckchen«, sagte die Alte.
Ohne Antonio eines weiteren Blickes zu würdigen, verschwand Mansuetta wieder im Hinterzimmer und kam kurz darauf mit einem Beutel zurück, der kleiner war als der mit der Hustenmedizin, aber ebenfalls einen durchdringenden Geruch verströmte.
»Was soll ich damit?« Antonio wog das daumengroße Säckchen in der Hand.
»Du hast Flöhe.« In der
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