Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
loszuwerden, waren von allen Seiten unterstützt worden, vor allem von Antonio und Querini.
Natürlich waren es nur Gerüchte, nichts weiter als Hörensagen, doch das hatte gereicht. All die verschwundenen Kleinkinder, meist Waisen oder unerwünschter Nachwuchs von Huren, die gleichzeitig vermisst wurden, manchmal mehrere in einem Monat. Bis die Behörden misstrauisch wurden und Ermittlungen aufnahmen, ungeachtet dessen, dass diese erbärmlichen Geschöpfe in aller Regel kaum jemanden hatten, der ihnen nachweinte. Es war von Hexensabbaten die Rede und von heidnischen Opferfesten, und vereinzelt wurde Cattaneos Name genannt. Man hatte ihn sogar einmal aufgesucht und ihn dazu befragt, doch es gab keine Beweise, nichts, was unmittelbar auf ihn hingedeutet hätte. Allerdings hatte es danach keine weiteren solcher Vorkommnisse gegeben, bis auf gelegentliche, sehr seltene Fälle, deren Überprüfung den Signori di Notte nicht dringlich genug erschien.
Valeria riss Antonio aus seinen Gedanken. »Warum bist du hier? Für ein schnelles Vergnügen? Wen willst du? Mich? Eines meiner Mädchen? Ich habe sogar eine Jungfrau im Angebot, Celia. Du hast sie bestimmt unten an der Tür gesehen, es ist die mit den schwarzen Haaren. Ich weiß doch, dass du die unverbrauchten am meisten liebst.« Ihr Gesicht hatte sich zu einem spöttischen Lächeln verzogen.
Der Hauch von Boshaftigkeit, der von ihr ausging, war kaum zu spüren, doch es war genug, um Antonio instinktiv einen Schritt zurücktreten zu lassen. Im schimmernden Licht der Kerzen ließ die dünne Seide ihres Gewandes jede Kontur ihres Körpers durchscheinen. Das Haar fiel ihr wie ein Wasserfall über die bloßen Schultern und Arme, und ihre Augen leuchteten so unwirklich hell wie von der Sonne bestrahlte Saphire. Sie war so schön wie nie zuvor.
Kalte Wut hatte ihn erfasst, doch nicht nur auf sie, sondern vornehmlich auf sich selbst, weil er sie begehrte. Die Empfindung war nicht annähernd so machtvoll wie zu der Zeit, als er noch ein junger Bursche von dreizehn gewesen war, nicht einmal so drängend wie damals an dem Theaterabend, als sie mit Cattaneo im Publikum gewesen war, oder wie in jener Nacht, als er sie dann tatsächlich einmal besessen hatte. Im Grunde war es nur ein schwacher Nachhall seiner Begierde von früher, nicht wirklich ernst zu nehmen. Doch sie spürte es sofort und trat auf ihn zu. Eine Hand auf seinen Arm gelegt schaute sie unergründlich zu ihm auf. »Du hattest lange keine Frau, ich merke das. Wenn du mich brauchst – ich bin für dich da.«
»Ein rascher Akt der Gnade, wie? Genau wie damals, als du dich meiner erbarmtest.« Er lachte, doch es klang widerwillig und wütend, gerade so, wie er sich fühlte.
Verärgert ließ sie ihn los. »Du meinst, ich sei außerstande, Zuneigung zu empfinden, nicht wahr? Aber du täuschst dich! Ich gab mich dir hin, weil ich dich mochte und weil du ein Freund aus meiner Jugend warst.«
»Bei mir lag es daran, dass ich fünfzehn Jahre alt und sturzbetrunken war«, gab er voller Sarkasmus zurück.
Er erwartete, dass sie wütend wurde, doch zu seiner Überraschung lächelte sie nur. »Das ist mir klar«, sagte sie. »Ich war nur ein weiblicher Körper für dich. Der erste, das weiß ich wohl, aber eben nur ein Körper. Es hätte jede beliebige Frau sein können, doch zufällig war es mein Boot, auf das du an diesem Abend gestolpert bist.« Mit kalkulierter Nachdenklichkeit meinte sie: »Nur gut, dass ich es Giacomo nie erzählt habe. Er hätte sonst einen Grund mehr gehabt, dich zu töten.«
»Und Carlo? Hast du es ihm je gesagt?«
»Nein.« Sie wirkte entschlossen. »Er muss es auch nicht wissen.«
»Genauso wenig wie Laura. Darüber besteht zwischen uns Einigkeit, oder?«
Sie nickte, und im Kerzenlicht ihres nach Parfüm, eben vergossenem Samen und schalem Wein riechenden Gemachs besiegelten sie mit einem kurzen Blick erneut die stillschweigende Übereinkunft, die sie in diesem Punkt schon vor Jahren getroffen hatten. Jenes eine Mal war ein Irrtum gewesen. Eine Dummheit, von der niemand sonst erfahren musste.
»Warum bist du wirklich hier?«, wollte sie wissen.
»Zum einen, um mich nach Carlo zu erkundigen. Wo ist er?«
Damit hatte er einen wunden Punkt bei ihr berührt, wie er sofort merkte. Ihre Züge drückten eine seltsame Mischung aus Wut und Sehnsucht aus. »Keine Ahnung«, erwiderte sie knapp. »Ich habe ihn schon seit Wochen nicht gesehen. Er führt sein eigenes Leben.«
Antonio musterte sie.
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