Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
mit hierher genommen hatte. Querini hätte von alledem vermutlich nichts verstanden und dem Alten diese Aufwallung von Sentimentalität womöglich als Geistesverwirrung ausgelegt.
Antonio verstand sich ja nicht einmal selbst vollständig. Die Besessenheit, mit der er jahrelang nach einem solchen Besitz gestrebt hatte, war zum Ende hin abgeflacht, und während der letzten Wochen, die er in Gefangenschaft zugebracht hatte, war er zu der Überzeugung gelangt, dass es weit Wichtigeres im Leben gab als ein vornehmes Haus. Auch Raffaele, das wusste er sicher, war weniger an dem Haus als solchem interessiert, sondern eher an dem Schutz, den es ihm bot. Genauer, an dem Schutz, den der Eigentümer dieses Hauses gewährleistete. Eine unverrückbare, Stein gewordene Sicherheit, einen von festen Mauern umfriedeten Hort für seinen Lebensabend. Raffaele würde nie wieder kämpfen können, und für die Bühne taugte er mit dem verkrüppelten Arm auch nicht mehr viel. Er war mehr denn je darauf angewiesen, dass Antonio sich um ihn kümmerte, und Antonio war mehr denn je dazu bereit. Mit der Reliquie, die er immer noch um den Hals trug, hatte das nichts tun. Raffaele hatte ihm sehr viel mehr gegeben als das Blut Christi.
Voller Stolz betrachtete Antonio sein neues Heim. Die massiven Mauern, die kunstvoll gedrechselten Säulen der Loggia, den eleganten Schwung der Arkaden vor dem Wassertor. Die Fenster waren noch ziemlich neu, mit farbigen Glaseinsätzen von Künstlern aus Murano, und auch die Altana war erst vor wenigen Jahren gezimmert worden, als das Dach nach einem Brand neu gedeckt worden war.
»Gefällt es dir?«, fragte er den Alten.
Raffaele nickte voller Inbrunst. »Es ist ... schön. Ähm, sogar die Bilder.«
Antonio lachte. »Das sagst du nur so! Das Haus selbst ist ein Glücksgriff, das ist wohl wahr. Aber die Bilder ... Nun ja, hier schweigt des Sängers Höflichkeit. Von Kunst verstehe ich nicht viel, aber dass diese Fresken scheußlich sind, sieht ein jeder.«
Das hatte er bereits auf den ersten Blick festgestellt, schon bevor Querini sich, als er ihm das Haus am späten Nachmittag gezeigt hatte, wortreich für die wenig ansprechende Fassadenmalerei entschuldigt hatte: »Über die Bilder müsst Ihr hinwegsehen. Früher gab es hier sehr viel bessere, aber sie wurden durch ein Feuer beschädigt und dann übermalt. Doch Schnitt und Lage des Hauses machen diese miserablen Kunstwerke mehr als wett, ich hoffe, Ihr stimmt mir darin zu.«
Antonio hatte das ebenso beurteilt wie Querini. Bei nächster Gelegenheit würde er einen wirklich guten Freskenmaler mit neuen Bildern beauftragen, vielleicht sogar schon vor seinem Aufbruch nach Padua. Querini hatte ihm einen jungen Künstler empfohlen, mit dem sein Sohn befreundet war, Tiziano Vecellio, der auch die Landseite des neuen Fondaco dei Tedeschi bemalt hatte.
»Lass uns reingehen«, meinte Antonio. Er zog die Schlüssel aus der Gürteltasche und ging voraus zum landseitigen Eingang des Anbaus, den er Raffaele zuerst zeigen wollte.
»Da drin sind nämlich noch ein paar wirklich gute Fresken erhalten geblieben, die will ich dir nicht vorenthalten.«
»Was ist mit den Leuten, die hier vorher gewohnt haben?«, wollte Raffaele wissen. Die Tränen waren nach der ersten Rührung versiegt, sein Gesichtsausdruck zeigte neben seiner deutlich erkennbaren Dankbarkeit wieder die gewohnte Neugier. Er blieb stehen und schaute sich um. »Lange können sie noch nicht fort sein, wie mir scheint.«
»Querini sagte mir, dass die letzten Eigentümer erst vorige Woche ausgezogen sind.« Antonio tippte mit den Fingerspitzen gegen eine hölzerne Truhe. Sie stand aufgeklappt an einer der Wände und war leer bis auf eine vergessene Spindel, an der noch ein Wollfaden hing. In einer Ecke lag ein Schemel, von dem ein Bein abgebrochen war, in einer anderen ein lederner Ball, mit dem vermutlich noch vor kurzem ein Junge gespielt hatte. Alles wirkte so, als sei der Aufbruch in aller Eile vonstattengegangen.
»Wer hat das Anwesen bewohnt?«
»Die Witwe eines Kaufmanns. Der jüngste ihrer Söhne lebte noch bei ihr, ein anderer ist als Lehrling in einer Anstellung. Zwei andere Söhne sind gestorben, einer davon erst vor kurzem. Auch ihr Mann starb im letzten Jahr. Querini sagte, das Haus wäre der Frau zu groß und zu teuer geworden.«
»Sie hätte das Hauptgebäude veräußern und in den Anbau ziehen können«, meinte Raffaele. »Den Durchbruch hier hätte man doch einfach zumauern können.« Er
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