Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
deutete auf die offen stehende Tür, die den hinteren Erdgeschossraum mit dem Andron des Palazzo verband.
»Das war auch mein Gedanke«, sagte Antonio, während er durch die Küche zur Außentreppe ging, die in das Obergeschoss des Anbaus führte. Achselzuckend fügte er hinzu: »Querini sagte jedoch, die Frau hätte kein Interesse mehr an dem Haus gehabt, schon gar nicht an dem Anbau.« Er machte sich daran, die Stiege zu erklimmen.
»Warum nicht?« Raffaele folgte ihm nach oben.
»Ich weiß nicht. Querini zufolge hat sie etwas Komisches gesagt. Sie meinte, der Löwe hätte hier ihre Söhne gefressen, aus Rache für die Entrechteten.«
Sie gelangten in eine Schlafkammer, die bis auf ein kleines hölzernes Schaukelpferd leer geräumt war. Ein Durchgang führte in eine weitere Kammer, die zum Kanal hin gelegen war. Das Fenster stand offen, Antonio selbst hatte es vor zwei Stunden, als er mit Querini hier gewesen war, geöffnet und den Ausblick über das Wasser und auf die gegenüberliegende malerische Kirche genossen.
»Kann es sein, dass sie nicht ganz bei Verstand war?«, fragte Raffaele. »Welchen Löwen meinte sie?«
»Ich kann es nur vermuten.« Antonio setzte sich auf die unter dem Fenster in die Wand eingelassene Bank und streckte die Beine aus, während er auf die Wand hinter Raffaele deutete. »Vielleicht diesen da.«
Raffaele folgte seiner Blickrichtung und drehte sich um.
Ein Fresko zierte die Wand. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass es nicht von dem Maler stammte, der die Außenwände bemalt hatte, denn es war so kunstfertig ausgeführt, wie man es selten sah. Das Bild zeigte einen Löwen. In majestätischer Pose stand er da, mit bernsteinfunkelndem Blick, die Mähne eine helle Lohe unter einer unsichtbaren Sonne, die Wand und Decke wie von innen heraus zum Leuchten brachte. Mächtige Tatzen und ein peitschender Schweif ließen ihn aussehen, als befände er sich auf dem Sprung, ein Eindruck, der von den ausgebreiteten Schwingen noch verstärkt wurde. Über ihnen an der Zimmerdecke spannte sich ein lapislazuliblauer Himmel mit funkelnden Sternen.
Raffaele stand starr. »Das ist ... fantastisch!«
Antonio nickte langsam.
Der Löwe schien auf eine solche Reaktion gewartet zu haben. Ehrfurcht gebietend und freundlich zugleich lächelte er ihnen von der Wand herab zu.
Antonio ließ seine Gondel gegen die Fondamenta treiben und vertäute sie an einem der aus dem Wasser ragenden Holzpfähle, bevor er über die flachen Steinstufen an Land stieg.
Das Haus, in dem Valeria Hof hielt, war aus rotem Veroneser Kalkstein erbaut. Es war mit antiken griechischen Säulen verziert, die der Baumeister bei der Errichtung der Fassade angestückelt hatte, so wie es bei vielen venezianischen Gebäuden üblich war. Vielfach wurden von antiken Fundstätten wertvolle Teile entfernt, um als teures Beiwerk an den Häusern der Patrizier und reichen Kaufleute der Serenissima neue Verwendung zu finden, so wie am Hause der Kurtisane Valeria.
Säulen aus grünem Porphyr schmückten die Loggia und werteten die schmalen Brüstungen auf. Platten aus demselben Material waren im Mauerwerk der Fassade eingelassen, mit einem Wappen, das vor kurzem erst unkenntlich gemacht worden war. Hier war sichtbar Cattaneos Handschrift ausgelöscht worden.
Antonio gestattete sich ein zynisches Lächeln, als im Licht der Fackeln, die entlang der Fondamenta aufgereiht standen, erkennbar wurde, wie radikal das eingeschnitzte Wappen zerschlagen worden war. Die Meißelhiebe hatten sogar einen Teil der umliegenden Ziegel beschädigt. Es sollte ihn nicht wundern, wenn Valeria persönlich hier Hand angelegt hätte.
»Meine Herrin erwartet Euch«, sagte das Mädchen, das ihm auf sein Klopfen hin die Pforte aufgetan und seine Ankunft gemeldet hatte. Sie war so gekleidet, wie ein Besucher dieses Hauses es erwarten durfte, mit einem dünnen Seidenfähnchen, das kaum den Busen bedeckte und auch die Umrisse des übrigen Körpers mehr sehen als ahnen ließ. Die Kleine war kaum vierzehn und hatte rabenschwarzes, bis zur Hüfte reichendes Haar. Sie winkte ihn zur Treppe durch und räkelte sich anschließend auf einem Diwan, vermutlich in Erwartung der nächsten Kunden.
Oben im Portego war eine Feier im Gange; Antonio hatte die Musik schon unten auf der Gasse hören können. Ein Mann schlug die Leier, eine junge Frau spielte auf der Flöte und eine weitere betätigte in flottem Takt die Zimbeln. Zwei blonde Frauen hüpften zu der Melodie im Kreis
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