Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
behauptete, er werde nicht eher ruhen, bis er sie als Flora auf der Leinwand verewigen dürfe.
»Bis Ostern wollen sie wieder hier sein«, sagte Mansuetta. »Sie sind in England, wo mein Schwager Geschäfte tätigen will.«
»Ah, England. Ist das nicht auf der anderen Seite der Erde?«
»Nicht ganz so weit«, sagte Mansuetta trocken. »Aber weit genug. Mit dem Schiff ist man wochenlang unterwegs, weil man erst um Portugal und Spanien und die Küste Frankreichs herumsegeln muss.«
»Spanien, Portugal, Frankreich, England – lauter Gegner Venedigs!« Seine Miene zeigte Besorgnis. »Wie furchtbar es in der Fremde zugehen kann, wissen wir doch beide, seit die arme Veronica auf so grausame Weise zu Tode kam!«
»Veronica wurde von einem venezianischen Söldner umgebracht.«
Tiziano senkte betreten den Kopf. »Richtig, Ihr spracht ja davon. Der Herr möge der Serenissima vergeben. Dennoch mache ich mir Sorgen um Madonna Laura. Die Welt ist voller Feinde!«
»England gehört nicht mehr zur Liga«, erklärte Mansuetta. »In London gibt es einen neuen König, Heinrich den Achten. Er ist noch jung, und es heißt, sein Herz schlägt für Venedig.«
»Was Ihr alles wisst, Madonna«, staunte Tiziano. Sein dunkles Haar und sein junges Gesicht waren von Mörtelstaub bedeckt, und der Kittel, den er trug, war übersät von Farbflecken. »Aber wen nimmt es wunder, dass Ihr Euch auskennt, schließlich seid Ihr in Abwesenheit von Messèr Bragadin das Familienoberhaupt.«
Das bin ich wohl wirklich, überlegte Mansuetta mit leiser Selbstironie. Sie war blind wie ein Maulwurf und lahm wie ein verkrüppelter Bettler – und dennoch hatte sie den Haushalt im Griff. Das Gesinde folgte ihr widerspruchslos, das Haus war sauber, die Vorratskammer gefüllt, und sie schaffte es mit Hilfe der Küchenmagd immer noch an jedem Tag, den der Herr werden ließ, schmackhafte und sättigende Mahlzeiten für alle auf den Tisch zu bringen.
Als hätte Tiziano ihre Gedanken gelesen, fügte er hinzu: »Vor allem als Köchin seid Ihr begnadet!«
Sie musste grinsen. Anscheinend hatte er den Küchendunst gerochen.
»Ich wollte Euch eben fragen, ob Ihr auf eine kleine Mahlzeit hereinkommen wollt«, sagte sie.
Er ließ sofort Hammer und Meißel fallen und schickte sich an, vom Gerüst herabzuklettern.
»Da sage ich nicht Nein«, verkündete er vergnügt.
»Dann nur zu. Für Euch wurde bereits ein Teller gefüllt. Das Essen wartet in der Küche auf Euch.«
Nicht ohne Stolz sah sie zu, wie er ins Haus eilte, um sich die versprochene Mahlzeit zu holen. Vielleicht hatte er recht. Schlecht machte sie ihre Sache gewiss nicht. Zumindest hatte sie erkannt, dass sie sich während der vergangenen Jahre in allen Dingen immer viel zu sehr auf Laura verlassen hatte, einfach deshalb, weil diese zur Verfügung stand und weil es die geringste Mühe gekostet hatte. Infolge der Abwesenheit ihrer Schwester waren mit einem Mal ihre eigenen Fähigkeiten gefragt, und sie hatte diese schneller mobilisieren können, als sie erwartet hatte.
Laura hingegen hatte nicht daran gezweifelt.
»Du schaffst das«, hatte sie gesagt. »Mit ein bisschen Hilfe schaffst du alles!«
Antonio hatte Mansuetta mit ausreichenden Geldmitteln ausgestattet, mit denen sie sparsam haushaltete, so wie sie es gewohnt war. Dank der neuen Brille war ihr auch wieder die Buchführung möglich, die sie früher, ebenso wie Laura, bei Crestina erlernt hatte.
Ihr Schwager und ihre Schwester würden alles in geordneten Verhältnissen wiederfinden, sobald sie nach Venedig zurückkehrten.
Das letzte halbe Jahr war für sie alle erfreulich verlaufen, nicht nur, weil es sich in dem neuen Haus gut leben und wirtschaften ließ.
Antonios Geschäfte blühten, er schien bei allem nur zu gewinnen. Während der Krieg andere Kaufleute arm machte, wurde er immer reicher, weil er mit den richtigen Gütern handelte. Salpeter für Schießpulver, Segeltuch für Boote, Eisen für Kanonenrohre. Das war nur ein Teil von dem, was Mansuetta im Laufe des letzten halben Jahres aus Lauras und Antonios Unterhaltungen aufgeschnappt hatte. Während viele Menschen in der vor Flüchtlingen überquellenden Stadt hungerten, hatten sie selbst immer reichlich zu essen, denn gleichgültig, wie sehr die Preise stiegen – es war immer Geld da, um alles zu kaufen, was ihr Herz begehrte. Es ging ihnen gut.
Auch deshalb, weil Lauras und Antonios Feinde nicht mehr auftauchten. Von der Nonne Arcanzola hatten sie nie wieder gehört, und
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