Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
eine Handelsmetropole war, ähnelte die Stadt nach Lauras Dafürhalten in nichts dem weltoffenen, farbenfrohen Treiben der Serenissima. Sicherlich wirkten die Gassen und Plätze bei schönerem Wetter anziehender, doch als sie ankamen, waren die Witterungsverhältnisse genau von der Art, wie Antonio es zuvor beschrieben hatte. Die Menschen, denen sie begegneten, waren meist tief in ihre wollenen Gewänder verkrochen, die Köpfe gesenkt gegen den ewigen Nieselregen. Nebel wallte über die Themse und ihre Ufer. Vermischt mit dem Rauch aus den Schornsteinen und den ätzenden Dünsten aus den Gerbereien und Schlachthäusern zog er bis in die letzten Winkel und ließ die Dächer und Kirchtürme in stinkendem Grau verschwimmen.
Hier in London schien es keine Sonne zu geben. Laura hatte sie jedenfalls seit ihrer Ankunft kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Es war kalt, unwirtlich und feucht, egal, wo sie hinkamen.
Dennoch gab es keine noch so trübe Stunde, in der sie je bereute, mitgefahren zu sein, nicht einmal während der grauenhaften Seereise. Sie kostete jeden Tag aus, den sie in Antonios Gesellschaft verbringen konnte. Gemessen an der Dauer ihrer jungen Ehe hatte es mehr Tage gegeben, die sie ohne ihn verlebt hatte, als solche, an denen sie zusammen sein konnten. Von September bis Weihnachten war er in Ungarn gewesen, den Januar über in Florenz. Als er endlich zurückgekehrt war, hatte sie darauf bestanden, bei der nächsten Reise mit von der Partie zu sein. Wie erwartet, hatte er das zunächst abgelehnt. Er hatte die lauernden Gefahren hervorgehoben und die Reisestrapazen ins Feld geführt, und er hatte England in einem so düsteren Licht gezeichnet, dass ihr schon vom Zuhören ganz elend geworden war.
»Während in der Lagune im Februar in manchen warmen Wintern bereits die Bäume blühen, wird es dort nicht einmal richtig hell. Von früh bis spät liegt eisiger Nebel über der Stadt, er dringt durch alle Schichten von Kleidung und lässt einen bis ins Mark frösteln. Und es regnet in einem fort, sodass man kaum vor die Tür gehen mag. Da sich dies aber nicht vermeiden lässt, ist man die meiste Zeit durchnässt und völlig verfroren. Und das Essen! Kein Mensch kann sich vorstellen, wie schauderhaft dort das Essen ist!«
Ihre Erwiderung lautete, dass sie sich lieber monatelang von Wasser und Brot ernährte, als während dieser Zeit erneut auf ihn zu verzichten, und wenn sie nicht diese Gelegenheit nutzen könne, würde sie sicherlich zeitlebens nie mehr aus Venedig herauskommen. Er hatte schließlich nachgegeben, offenbar noch unter dem Eindruck dessen, was im vergangenen Jahr in Padua geschehen war. Sie nutzte seine Angst um ihr Wohlergehen skrupellos aus, doch ein schlechtes Gewissen hatte sie deswegen nicht.
Die lange Seereise von der Adria bis an die Küste von England verlief eher beschwerlich als abenteuerlich. Laura reiste nicht auf den Schwingen des Löwen in das fremde Land, so wie sie es sich als Kind erträumt hatte, sondern wie im Bauch eines Wals.
Das Leben auf einem Schiff war von drangvoller Enge gekennzeichnet. Meist hockten die Menschen dicht beieinander, denn der Platz war äußerst begrenzt. In den Kajüten roch es muffig nach Teer, Schweiß sowie den Tieren in den Stallungen der unteren Laderäume, und an Deck nach Teer und Fisch. Fisch war das Einzige an frischem Essen, das sie während der Fahrt zu sich nahmen, bis auf das Fleisch der wenigen Ziegen, die zwischendurch geschlachtet wurden. Ansonsten gab es nur bröckeligen, von der Seeluft durchfeuchteten Zwieback, gepökelten Schinken und verschrumpelte Äpfel, in denen die Würmer hausten. Wenn man sich waschen wollte, stand dafür nur eine Schüssel zur Verfügung, die mit Salzwasser gefüllt war.
Ein Teil der Unbequemlichkeiten war darauf zurückzuführen, dass es nur selten möglich war, einen Hafen anzulaufen, da die meisten Küstenländer mit Venedig im Krieg lagen. Die Flotte, mit der sie reisten, bestand aus sechs vollbeladenen Frachtern und einer schwer bewaffneten Kriegsgaleere. Stets blieben sie in sicherer Entfernung von den Küsten, vor denen die Kriegsschiffe der Feinde kreuzten.
Laura verbrachte ohnehin die meiste Zeit der Reise in ihrer Koje, die eher einem schmalen Brett an der Wand ähnelte als einem Bett. Immerhin hatten sie und Antonio als begüterte Reisende eine Kabine für sich allein, aus Lauras Sicht durchaus ein Grund zu besonderer Dankbarkeit, da andere so ihr Elend nicht sehen konnten. Ihr war von früh
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