Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
weitere Ladung Pasta in den Mund gestopft hatte, hielt verlegen inne und gab sich sichtlich Mühe, langsamer zu kauen. Wie so häufig bezog er ihr Schimpfen auf sich selbst, vermutlich ein Überbleibsel von früher. Als Kind und Jüngling war er wohl häufiger gescholten als gelobt worden.
Mansuetta hielt es für angebracht, ihre Zurechtweisung ins richtige Licht zu rücken. »Matteo isst nur so schnell, weil er fertig werden und wieder nach draußen will, nicht, weil es ihm so gut schmeckt.«
Piero errötete. »Es schmeckt wirklich über alle Maßen, Euer Essen. Es ist hervorragend! Kein Mensch kocht besser als Ihr! Falls ich ... ähm, ein wenig zu rasch esse, dann gewiss nur aus diesem Grund, Madonna.«
Sie lächelte ihn an. Von seinem Wesen her war er Matteo so ähnlich, dass es sie manchmal verblüffte. Er war so unglaublich klug, dass es jede Vorstellung überstieg, aber in praktischen Dingen war er oft von einer Naivität, die man nur als drollig bezeichnen konnte. Wie bei Matteo hatte sie bei ihm häufig den Wunsch, ihm übers Haar zu fahren oder ihm den Mund abzuwischen. Er war erwachsen, aber auf gewisse Weise einfach noch ein großes Kind, und sie war glücklich darüber, dass er sich ganz offensichtlich hier bei ihr zu Hause fühlte.
Sie würde wohl niemals eigene Kinder haben, aber sie wusste, wie es war, für welche zu sorgen und sie zu lieben. Piero war im Begriff, sich einen Platz in ihrem Herzen zu erobern, und sie hoffte, dass er noch lange bei ihnen blieb. Die Aussichten waren nicht schlecht, denn Matteo konnte noch jahrelang Unterricht bekommen.
Ihr Leben würde, wenn Gott ihr weiter gnädig war, in ruhigen, vorhersehbaren Bahnen verlaufen. Sie würde Matteo aufwachsen sehen, ebenso wie die Kinder von Laura und Antonio. Sonst gab es nicht viel, was sie sich wünschte. Genug zu essen, keine Schmerzen zu haben, im Winter ein warmes Bett. Und natürlich Menschen, die sie liebten.
Vielleicht würde sie eines Tages sogar erfahren, wo ihre Mutter lebte, oder, wenn diese tot war, wo sie begraben lag. Nicht ihre leibliche Mutter, deren Grab sie kannte, sondern Crestina, die sie aufgezogen hatte wie ihr eigenes Kind. Immer noch sehnte Mansuetta sich nach ihr, manchmal mit einer Intensität, die sie erschreckte, und dann weinte sie heimlich in ihrer Kammer, bis sie keine Tränen mehr hatte. Sie weinte auch um Isacco, die Liebe ihrer Jugend, Sinnbild jener heimlichen Träume, deren Erfüllung ihr zeitlebens versagt bleiben würde.
Dennoch war sie auch dankbar für das Glück, das sie erfahren hatte, seit Laura und Antonio verheiratet waren. Ihr Leben war nie zuvor so leicht und sicher gewesen. Sie ging des Sonntags zur Kirche und saß neben Giovanni, dem Fischhändler. Seine Gegenwart beruhigte sie und erfreute sie zugleich, auf eine stille, unspektakuläre Weise, die ihr guttat. Die Gespenster aus der Vergangenheit gab es noch, aber sie rückten in immer weitere Ferne.
Matteo ließ seinen Löffel neben den Teller fallen. »Ich bin fertig.«
Mansuetta hob die Scherenbrille, die an einer Kette um ihren Hals hing, eine wertvolle Neuerwerbung, die ihr seit dem letzten Herbst auf wundersame Weise das Sehen erleichterte. Sie stammte vom besten Cristallero Muranos und war wesentlich besser gearbeitet als die alte; durch die Gläser sah sie alles gestochen scharf. Matteo zuckte zusammen, wie immer, wenn sie sich die Brille vorhielt, die es ihr problemlos ermöglichte, ungewaschene Finger, ein schmutziges Knabengesicht oder halb leer gegessene Teller auf den ersten Blick zu erkennen.
»Du hast nicht aufgegessen.«
»Ich bin satt!«, jammerte er. »Wenn ich so viel essen muss, wird mir schlecht!« Trotzig fügte er hinzu: »Außerdem will ich nicht raus, sondern die neue Karte ansehen. Antonio hat sie mir geschickt, sie zeigt die ganze Welt, nach den neuesten Messungen! Ein Deutscher hat sie gemacht, er heißt Martin Waldseemüller, und es ist sogar der Kontinent darauf, den Cristoforo Colombo fand, America! Bitte, ich möchte sie sehen! Ich kann nicht mehr essen!«
Mansuetta seufzte. »In Gottes Namen, dann lass es stehen.«
Piero warf einen begehrlichen Blick auf Matteos restliche Portion, obwohl sein eigener Teller noch nicht ganz leer war.
»Vielleicht ist ja Messèr Fioravante so freundlich, deine Pasta noch aufzuessen«, schlug Mansuetta diplomatisch vor.
»Den Gefallen tu ich Euch gerne!«, versicherte Piero ihr mit vollem Mund.
»Esst ruhig schnell«, empfahl ihm Matteo. »Mansuetta weiß ja,
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