Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
dich aus«, sagte er. »Wir sehen uns bald wieder. Spätestens an Himmelfahrt.«
»Wenn wir nicht vorher zur Hölle fahren«, murmelte sie.
»Diese Möglichkeit besteht immer.« Sein Grinsen ließ ihn überraschend jung und übermütig aussehen.
»Ach, Marcello, verschwinde und lass mich in Ruhe«, gab sie schlecht gelaunt zurück. Sie sehnte sich nach Carlo und hatte Angst, dass er nicht zurückkehrte.
»Ich komme wieder.« Mit diesen Worten verließ Marcello Querini endlich ihr Gemach. Valeria ließ sich in die Daunenkissen sinken und starrte in den seidenen Betthimmel. Das Kind in ihrem Leib bewegte sich; es versetzte ihr einen Tritt unter die Rippen und brachte ihr zu Bewusstsein, dass es bis zur Geburt nur noch wenige Wochen dauern würde.
Carlo, dachte sie. Komm nach Hause und geh nie wieder fort!
Der Mann, den Carlo aus dem Sarg holte, schien eher tot als lebendig. Mit einem Anflug von Ironie überlegte Carlo, dass er ihn am besten gleich drin gelassen und mitsamt dem Behältnis über den Dollbord des Sàndolo gestoßen hätte. Auf diese Weise in der Lagune versenkt, hätte der Kerl noch eine Weile am Leben bleiben und seine Untaten bereuen können. Er hieß Bernabò Vivarini und war ein übergewichtiger, verlebter Adliger in den Vierzigern, der mehr schlechte Angewohnheiten als Geld hatte. Er stank nach Erbrochenem sowie dem Branntwein, dem er in einer Spelunke zugesprochen hatte, bevor Carlo ihn auf dem Heimweg geschnappt hatte.
Der Inhalt eines Kübels Flusswasser mitten ins Gesicht brachte ihn zu sich. Hustend und spuckend wandte er den Kopf zur Seite und versuchte die Augen zu öffnen.
»Was ist passiert?«, krächzte er.
»Ich habe dich überfallen«, erklärte Carlo sachlich, während er den leeren Kübel im Gras abstellte. »Ich habe dich bewusstlos geschlagen, gefesselt, in diesen Sarg gesteckt, auf ein Boot gebracht und dieses eigenhändig zur Terraferma gesegelt.«
Diese Informationen brachten den Mann dazu, die Augen aufzureißen. »Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?«
»Ich bin der Mann, der dich töten wird.«
Vivarini blinzelte und versuchte, mit seinen Blicken den aufziehenden Nebel zu durchdringen. Es war kalt, und schon vor einer Weile hatte es angefangen zu nieseln. »Wenn Ihr mich töten wollt – warum habt Ihr mich dann erst hergeschafft?«
»Um dir ein paar Fragen zu stellen.«
»Wozu sollte ich die beantworten, wenn Ihr mich sowieso umbringen wollt?« Er kniff die tränenden Augen zusammen und schaute sich um. »Hier müssen Leute leben. Sie werden Euch das Handwerk legen.« Er begann zu schreien, um auf sich aufmerksam zu machen. Carlo ließ ihn eine Weile lärmen und strampeln, das würde den Mann restlos zu sich bringen. Schließlich hielt Vivarini inne und schaute ihn anklagend an.
»Das Anwesen steht seit geraumer Zeit leer«, sagte Carlo nicht unfreundlich. »Der frühere Besitzer ist verreist, und das Gesinde, das einst hier wohnte, ist längst fortgezogen. Wir sind ganz unter uns, Bernabò. Du kannst noch so viel schreien, außer mir hört es niemand.«
Vivarini starrte zu ihm hoch, und mit einem Mal dämmerte ein Ausdruck des Begreifens in seinen Augen. »Ich fasse es nicht! Du bist der moro nero von Giacomo!«
»Sieh an, du erkennst mich tatsächlich wieder«, spottete Carlo. »Wir sahen uns auf dieser oder jener niederträchtigen Gesellschaft, nicht wahr? Wenn ich auch die meiste Zeit nicht bei mir war, wegen all der Pülverchen, die Giacomo mir immer ins Essen mischte – manche Gesichter prägen sich einem dennoch ein.«
Vivarini spuckte aus. »Woran ich mich erinnere, ist dein saftiger schwarzer Arsch, der uns so manche vergnügte Stunde verschafft hat. Und an den Anblick des Blutes, das aus deinem Fingerstumpf spritzte.«
Carlos Hände zuckten, doch er bezwang sich. »Da wir gerade von Blut reden, möchte ich dir etwas zeigen.« Er packte Vivarini beim Kragen und zerrte ihn quer über die Wiese, an den Hecken vorbei und hinter den Schuppen. Der Geruch, der ihm aus der Löwengrube entgegenschlug, war widerlich, ein gasiges Gemisch aus Fäulnis und Verwesung. Im vergangenen Monat hatte er es auf sich genommen, die Grube zu erweitern, um dem Tier mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, und anlässlich dieser Arbeiten hatte er ein Trenngitter angebracht, das man von oben hochziehen konnte, um den jeweils abgeteilten Bereich von abgenagten Knochen und Fäkalien zu säubern. Er bezahlte einen Mann aus dem nächstgelegenen Dorf, das Raubtier regelmäßig
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