Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
säuerlichen Note von Urin.
Antonio hätte um ein Haar zornig losgebrüllt. Valerias Freier war tatsächlich hergekommen! Hinter der dürren Schilfmatte bewegten sich Schatten vor der Wand, und ein abgehacktes Grunzen war zu hören, unterbrochen von einzelnen Wortfetzen, die der Mann von sich gab, die jedoch ebenso unverständlich waren wie die von Kichern untermalten Erwiderungen Valerias.
»Wer ist da hinter der spanischen Wand?«, wollte Priuli mit hochroten Wangen wissen.
»Meine Eltern«, behauptete Antonio, um Beherrschung ringend. »Sie trinken von morgens bis abends und treiben es dann die ganze Nacht wie die Tiere. Es wäre sinnlos, jetzt mit ihnen sprechen zu wollen. Sie sind bis zum Kragen voll mit Schnaps.«
Hinter der Schilfmatte gab der Freier ein unterdrücktes Fluchen von sich und wurde dann mucksmäuschenstill. Valeria hingegen ließ ein weiteres Kichern hören, worauf beide in eine leise, nicht zu verstehende Unterhaltung verfielen.
Oratio und Tomàso lagen in enger Umarmung auf ihrer Matratze und schliefen. Ihre Münder standen röchelnd und im selben Atemrhythmus offen.
Carlo hockte auf seiner Matte und starrte in den flackernden Schein, den das Talglicht auf Valerias Schemel verbreitete.
Er warf Antonio einen raschen Blick zu und schaute dann zur Seite, die Lider gesenkt und den Kopf halb abgewandt.
Der Barbier musterte ihn mit Interesse. »Das ist ja ein junger Mohr! Wem gehört er?« Er warf einen angeekelten Blick auf die schiefe Schilfmatte. »Doch wohl kaum deinen versoffenen Eltern.«
»Niemandem, nur sich selbst. Er ist ein freigelassener Sklave.«
»Von wem freigelassen?«
»Von seinem früheren Herrn, dem Nobile Gradenigo, der vor fünf Jahren starb und keine Erben hinterließ.«
»Gibt es eine Urkunde?«
»Natürlich. Eine Ausfertigung ist hier und eine als Abschrift in den Archiven der Avogadori .«
Antonio brachte die Lüge mit derselben Gelassenheit heraus wie immer, wenn er die Unwahrheit sagte. In den letzten beiden Jahren hatte er nur anfangs Probleme mit dem Lügen gehabt, denn er hatte nicht nur von der Mutter, sondern auch in der Kirche gelernt, dass es Sünde war. Das war allerdings gewesen, bevor er begriffen hatte, dass man nicht überleben konnte, ohne zu lügen.
»Kommt hier herüber, zu meiner Schwester.«
Widerwillig löste Priuli seine Blicke von dem Schwarzen und folgte Antonio die wenigen Schritte hinüber zu Cecilias Lager. Er ging neben der Kleinen in die Hocke und legte die Hand auf ihre Stirn.
»Sie ist völlig abgemagert und halb verhungert«, stellte er fest.
Darauf war Antonio auch bereits von allein gekommen, doch er verkniff sich eine patzige Erwiderung und wartete geduldig, bis Priuli mit der Behandlung begann.
»Ihr werdet sie doch wohl nicht zur Ader lassen?«, fragte er vorsorglich. Ihm war wieder eingefallen, dass die Kräuterhändlerin ihn davor gewarnt hatte.
»Normalerweise würde ich es tun, es hilft so gut wie immer. Aber sie ist zu dünn. Nur Haut und Knochen.« Priuli zog der Kleinen das Hemd hoch und legte ein Ohr gegen ihren Brustkorb. »Es ist nichts zu hören.«
»Sie schläft ja auch gerade«, sagte Antonio gereizt. »Wenn sie wach ist, hustet sie. Den ganzen Tag. Heute kam sogar Blut.«
Priuli richtete sich rasch auf. Er machte sich nicht die Mühe, Cecilias Hemd wieder herabzustreifen, sondern deutete nur achtlos mit dem Kinn hinunter auf den Strohsack. »Ich kann nichts mehr für sie tun. Sie ist tot.«
Hinter der Schilfwand ertönte ein erschreckter Ausruf, und einen Atemzug später tauchte Valeria auf, das aufgelöste Haar bis zu den Hüften hängend. Sie raffte das fleckige Hemd vor der Brust zusammen und näherte sich zögernd Cecilias Lager. In ihren weit aufgerissenen Augen stand ein bestürzter Ausdruck.
»Was?«, fragte Antonio verwirrt. »Was sagt Ihr da? Sie war doch eben noch ... Ich meine, ich bin vorhin losgegangen, da hat sie noch ... Sie war noch ...« Sein Gestammel brach ab, und er starrte auf den schmalen Körper nieder. Langsam kniete er sich neben seine Schwester und legte seine Hand gegen ihre Wange. Sie war nicht länger heiß, so wie vorhin, als er fortgegangen war, sondern nur noch warm, so wie sein eigener Körper. In wenigen Stunden, das wusste er, würde sie sich kühl anfühlen, wie ein Stein. Der Arzt hatte recht. Ihr Brustkorb hob sich nicht mehr, kein Hauch kam über ihre Lippen. Irgendwann in der Zeit, die er gebraucht hatte, um den Arzt zu holen, war sie gestorben.
Die Kammer
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