Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
inducas in tentationem; sed libera nos a malo. Quia tuum est regnum et potestas et gloria in aeterna. Amen«, schloss der Priester das Sterbesakrament mit den letzten Sätzen des Vaterunsers ab.
Er stand vor dem Bett und versperrte Anna die Sicht, doch sie wusste auch so, dass es vorbei war. Ihre Mutter war tot.
Antonio brühte für Cecilia die Kräuter auf, so wie die alte Frau es ihm gesagt hatte. Sie trank ein paar Schlucke, dann fiel ihr Kopf kraftlos zur Seite.
»Mama?«, fragte sie kaum hörbar.
Antonio versuchte, den schmerzhaften Stich in seinem Inneren zu ignorieren.
»Komm, trink noch ein bisschen. Es tut dir gut!«
»Antonio.« Sie erkannte ihn. »Ich möchte zu Mama.«
»Schsch, Mama ist doch im Himmel!« Er flößte ihr einen weiteren Schluck von dem Sud ein, doch die Flüssigkeit lief ihr aus den Mundwinkeln wieder heraus. Sie konnte nicht mehr richtig schlucken. Bald darauf fiel sie wieder in einen unruhigen Schlaf.
Er hatte sie bereits von ihrem Schlupfwinkel am Wasser zurück ins Haus tragen müssen, sie hatte nur wenige Schritte geschafft, bevor sie zusammenbrach. Das Fieber war wieder gestiegen. Wenn er sie berührte, konnte er spüren, dass sie vor Hitze glühte. Das Leben schien mit der Wärme ihres Körpers aus ihr herauszuströmen, und als sie gegen Abend nicht mehr auf seine Zurufe reagierte, geriet er in echte Panik.
Er richtete sich von ihrem Lager auf. »Ich hole einen Arzt.«
Die anderen quittierten diese Ankündigung mit Schweigen. Oratio und Tomàso hatten zu viel von dem Branntwein getrunken, den sie auf dem Heimweg einem Bettler im Vorüberlaufen gestohlen hatten; mit glasigen Augen hingen sie aneinandergelehnt auf dem Strohsack, den sie sich teilten.
Carlo hockte mit überkreuzten Beinen und stoischer Miene auf der Matte, die ihm als Schlafstelle diente. Er schnitzte an einem langen Stock herum, ritzte seltsame Symbole und primitive Figuren in das Holz und blickte nur kurz auf, als Antonio sein Vorhaben kundtat.
Valeria saß auf einem Schemel vor der schartigen Bronzeplatte, die sie als Spiegel benutzte, und kämmte sich das Haar. Es hing in seidigen Bahnen fast bis zum Boden, wenn sie saß, und sie fuhr gedankenverloren mit dem Kamm hindurch, wie sie es jeden Abend tat, bevor sie schlafen ging oder einen neuen Freier empfing. Es war noch zu früh zum Schlafen, folglich konnte das Kämmen nur einen Zweck verfolgen. Sie wollte sich für einen Mann schön machen.
Übelkeit stieg in Antonio auf, während er die spanische Wand anstarrte, die eine Ecke vom Rest des armseligen Raums abteilte. Dahinter befand sich Valerias Lagerstatt, eine Matratze, die mit Werg und Lumpen statt mit Stroh gestopft war und auf einem aus Holz gezimmerten Bettkasten lag. Dort gab sie sich den Männern hin, die sie besuchten.
»Warum kämmst du dich?«, wollte er wissen.
»Ich habe jemand Neuen kennengelernt«, sagte sie. »Einen Steinmetz aus Dorsoduro.«
»Dein Freier kann heute Abend nicht herkommen. Cecilia ist krank.«
»Sie ist immer krank. Wenn ich anfange, darauf Rücksicht zu nehmen, bin ich eher tot als sie. Ich mag es nicht, mein Essen stehlen zu müssen.« Sie zögerte, dann setzte sie hinzu: »Ihr müsst nicht rausgehen. Es macht ihn heiß, wenn jemand dabei ist. Und wenn es Kinder sind, dann erst recht.«
Antonio spuckte aus, als könnte er so den schlechten Geschmack loswerden, der ihm bei ihren Worten auf der Zunge zurückblieb.
Valeria sprach freimütig über derartige Vorlieben ihrer Freier, sie hatte vor den anderen keine Geheimnisse. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte auch die spanische Wand nicht unbedingt dort stehen müssen, doch Antonio hatte darauf bestanden, um Cecilias willen – als würde diese dünne, auf Latten genagelte Schilfmatte dazu taugen, um sie von all dem Schmutzigen und Schäbigen dahinter abzuschirmen, von dem sie längst ahnte, was es damit auf sich hatte. So wie auch er selbst ein sehr genaues Bild davon hatte. Schließlich hatte er mehr als einmal heimlich einen Blick durch die Ritzen geworfen. Valeria wusste davon und machte sich deswegen über ihn lustig, und er hatte schon mehrere Male kurz davor gestanden, sie deshalb zu schlagen. Bisher hatte er noch nicht Hand an sie gelegt, aber sie würde ihn noch dazu treiben, wenn sie so weitermachte.
Die meisten Männer, die zu ihr kamen, fanden Gefallen daran, dass noch andere Kinder in der Nähe waren und zuhörten, wenn sie es mit Valeria trieben. Bei denen, die daran Anstoß nahmen, mussten sie
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