Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Nacht zu zechen, bis man auf sein Lager niederfällt – das kann zu nichts Gutem führen.« Seine Stimme wurde härter. »Falls du glaubst, das Trinken mache einen echten Mann aus dir, so täuschst du dich gewaltig.« Er tippte gegen seine Stirn. »Das, was du hier drin hast, das macht dich zu einem Mann. Zu einem Mann vor allem, der weiß, was er will. Das wiederum wird bei dir niemals der Fall sein, wenn du deine freie Zeit damit vertust, dich mit Schnaps zu betäuben.« Er blickte Oratio eindringlich an. »Die Zeiten sind gefährlich, und einen Leibwächter zu bezahlen, der sich besäuft, wäre das Letzte, was ich tue. Also hüte dich, meine Worte auf die leichte Schulter zu nehmen, wenn du in meinen Diensten bleiben möchtest.«
Oratio wirkte betroffen und wütend. Die Narbe, die seine Lippe spaltete, leuchtete wie ein Feuermal. Als er sich zum Gehen wenden wollte, hielt Antonio ihn zurück. »Was glaubst du denn, warum ich dir Vorschriften mache? Etwa um dich zu schikanieren?« Er wies mit dem Finger auf den Dolch an Oratios Gurt. »Kann sein, dass du das Ding da ausgerechnet dann brauchst, wenn du gerade schläfst. Die Nacht ist lang und hat viele Schatten. Was, wenn dein vom Branntwein umnebeltes Hirn den Angreifer erst erkennt, wenn es zu spät ist?«
Oratio dachte kurz nach und nickte zögernd. Anscheinend hatte er ein derartiges Risiko bisher nicht bedacht, oder jedenfalls nicht sehr gründlich. Oder er hatte es, wie es die Art mancher Trinker war, schlicht verleugnet.
»Ich gehe dann wieder«, meinte er leise.
Antonio nickte und schaute zu, wie Oratio mit gesenktem Kopf in Richtung Uhrturm davontrottete.
»Na so was«, sagte der alte Apotheker. »Na so was!«
Barnabas bellte ohrenbetäubend und sprang mit einem gewaltigen Satz auf die Ratte los, die soeben im Durchgang zur Küche verschwunden war.
Laura, die sich nur mit Mühe hatte bezwingen können, nicht mit einem ähnlichen Sprung hinauf auf die Ladentheke zu flüchten, atmete tief durch, um ihren Ekel niederzukämpfen.
Es war nur eine Ratte, sagte sie sich. In den heißen Sommermonaten faulten die Abfälle schneller als gewöhnlich, und vor allem das Aas lockte Ungeziefer in Mengen an. Jeder Schlachter, Abdecker und Gerber warf verwesende Fleischreste in die Kanäle, und bis die nächste Flut alles hinaus in die Lagune schwemmen konnte, waren bereits die Ratten da.
»Es tut mir leid, Messèr Silvano. Dieser erste Eindruck wirkt gewiss nicht sehr einnehmend auf Euch.«
»Was ist schon eine einzige Ratte. Barnabas wird sie schnappen, so viel ist sicher.« Seine Voraussage erfüllte sich. Als sie vom Ladenraum aus in die Küche weitergingen, war durch die offen stehende Hintertür zu sehen, wie Barnabas im Garten die Ratte zerbiss. Blut spritzte über den Hof, und Laura wandte sich schaudernd ab. Wie alles, was sie heute sah, schien auch dieser Vorfall ein böses Omen zu sein und auf schreckliche Ereignisse hinzudeuten. Das Schlimme war, dass sie es nicht lokalisieren konnte, weder zeitlich noch räumlich. Sie wusste lediglich, dass es immer näher kam, unaufhaltsam, so wie damals der Tod ihrer Eltern. Nur war es diesmal viel gefährlicher, auf eine weit umfassendere Art. Es schien von allen Seiten zu kommen, und es betraf ihre gesamte Existenz. Beklommen dachte sie an den Krieg. Vielleicht war es so weit, vielleicht standen die feindlichen Truppen dicht davor, in die Stadt einzufallen. Sah sie das Ende für sie alle kommen? Zumindest fühlte es sich so an, und das versetzte Laura in ständige Alarmbereitschaft. Schon die leisesten Anzeichen, die auf ungewöhnliche Vorkommnisse hindeuteten, riefen unerträgliche Unruhe in ihr wach.
Eilig betete sie im Stillen ein Avemaria, nicht das erste an diesem Tag.
»Ist Euch nicht gut, Madonna?«
»Ich ... Ach nein, es ist alles in Ordnung.« Laura holte Luft und wandte sich dem alten Apotheker zu. »Was wollt Ihr zuerst sehen, die Schlafkammern im Obergeschoss oder die Offizin?«
»Die Offizin natürlich«, antwortete Silvano prompt.
Laura drehte sich zu Tomàso um, der in der Eingangstür stand. »Wenn du willst, kannst du draußen auf mich warten, an der frischen Luft.«
Tomàso lehnte mit der Schulter am Türsturz. Sein Gesicht war auf ungesunde Weise gerötet, die Lider verschwollen. Laura vermutete, dass er in der vergangenen Nacht wieder zu lange mit seinem Bruder gezecht hatte. Sie hatte Antonio bereits gebeten, ein ernstes Wort mit den beiden zu reden.
Gemeinsam mit Silvano ging sie
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