Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
»Tomàso hält derweil ein Auge auf ihn, er kann also nichts anstellen.«
»Der Mann ist harmlos«, sagte Antonio. »Wo hat sie ihn einquartiert?«
»Sie ist gleich mit ihm rüber zu der Apotheke, um ihm alles zu zeigen.«
Grollend überlegte Antonio, dass sie den Laden einfach hätte aufgeben und Crestinas altes Haus verkaufen können. Wozu brauchte sie eine Apotheke, wenn sie mit einem der reichsten Männer des Sestiere verheiratet war? Doch darüber mit ihr zu diskutieren wäre völlig sinnlos gewesen. Sie hätte ihn sofort auf die Zeit seiner Gefangenschaft hingewiesen – und darauf, wie wichtig es für eine Frau in solchen Fällen war, sich mit der Kraft ihrer Hände Arbeit auch allein über Wasser halten zu können. Im Grunde hatte sie damit wohl recht, er musste es daher notgedrungen akzeptieren. Wenn nur nicht dieser Bereich ihres Lebens so viel stechenden Kräuterdunst produziert hätte! Seine Neigung, sich die Seele aus dem Leib zu niesen und wahre Sturzbäche von Tränen zu vergießen, sobald Kräuter in nennenswerter Menge in seiner Umgebung auftauchten, bestand unvermindert fort.
Antonio trat neben Oratio aus dem Bogengang des Kontors ins Freie. Von hier hatte man eine gute Aussicht auf die Piazza. Der Markusplatz wimmelte von Menschen, die ihren Besorgungen nachgingen oder sich bei einem Spaziergang zerstreuten. Der Augusthimmel wölbte sich sattblau über den Kuppeln der Basilika und dem hoch aufragenden Campanile, und die Sonne ließ die spitzenartigen Verzierungen des Dogenpalastes leuchten wie auf einem alten Gemälde. Das Meer, die Luft und die Wärme vereinigten sich zu einer friedlichen Sommerstimmung, der alle Sorgen so fremd waren wie die Nacht dem Tag. Und doch schien mitten über der Piazza eine Trennlinie zu verlaufen, unsichtbar, in keiner bestimmten Richtung und kaum zu spüren. Es war eine Markierung, die das Glück vom Unglück teilte, das Gute vom Bösen.
Unwillkürlich hob Antonio die Hand und berührte seinen Anhänger. Dabei spürte er, wie ihn ein schwaches Frösteln überlief, und sofort fragte er sich sarkastisch, ob er etwa begann, eine Art zweites Gesicht zu entwickeln, so wie seine Frau. Ihre Ahnungen in allen Ehren, aber Frauen waren bekanntlich ihren Gefühlen stärker unterworfen als Männer. Normale Ängste mochten sich im Rückblick leicht in böse Vorahnungen verwandeln, und dunkle Wolken am Himmel waren passend dazu sogleich die Vorboten nahenden Unglücks.
Laura hatte ihm am Morgen gesagt, sie habe kein gutes Gefühl, er solle sich unbedingt vorsehen. Am liebsten hätte sie ihn gleich ganz zu Hause behalten, doch ein solches Ansinnen war absurd. Auf ihn wartete Arbeit, wohin er nur schaute.
Manchmal dachte er voller Wehmut an jene Zeiten zurück, als ihm Mosè oder später auch Querini erklärt hatten, was als Nächstes zu tun war. Es war ein bedeutsamer Unterschied, lediglich für die Leitung eines bewaffneten Transports zuständig zu sein oder aber selbst die gesamte Unternehmung von Anfang bis Ende zu planen, in die Wege zu leiten und zur Durchführung zu bringen, alles in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko. Doch natürlich hatte er es nicht anders gewollt. Nur diese Form von Erfolg war geeignet, einen Kaufmann zufriedenzustellen – sofern er überhaupt jemals zufrieden war.
Oratio riss ihn aus seinen Gedanken. »Brauchst du mich noch?«, wollte er wissen. »Wenn nicht, gehe ich jetzt wieder. Der Kleine und sein Hauslehrer wollen einen Ausflug machen.«
Antonio musterte ihn prüfend, Oratio schien ihm reichlich blass. »Was ist mit dir?«, fragte er. »Du siehst aus, als würdest du krank.«
Oratio zuckte mit den Achseln. »Ein leichtes Unwohlsein.« Er grinste. »Hab wahrscheinlich letzte Nacht zu tief ins Glas geschaut.«
»Du solltest nicht so viel trinken«, sagte Antonio stirnrunzelnd.
Oratio tätschelte sein Messer. »Meine Wurftechnik und meine Zielgenauigkeit leiden nicht darunter.«
»Aber vielleicht dein Verstand.«
»Nun hab dich nicht so. Du hast auch getrunken, als du so alt warst wie ich. Daran erinnere ich mich noch sehr genau.«
»Du hast mich vielleicht zwei oder drei Mal berauscht erlebt«, berichtigte Antonio ihn. »Häufiger ist es nämlich nicht passiert. Diese paar Male haben mir gereicht, um es sein zu lassen. Weil ich nämlich gemerkt habe, was es mit mir anstellt. Ein Becher voll Wein ist in Ordnung. Ab und zu vielleicht auch mal zwei oder drei, gemeinsam mit Freunden und in geselliger Runde. Aber Nacht für
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