Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Banner um ihren Kopf, doch sie achtete nicht darauf. Sie klammerte sich mit beiden Händen an der Reling fest, während ihre Röcke sich in knatternde Segel verwandelten. Antonio trat hinter sie und umhüllte sie erneut mit der schützenden Wärme seines Umhangs, dessen Säume er diesmal fester packte, damit der Wind ihn seinen Händen nicht mehr entreißen konnte.
Er hielt sie eng umschlungen, und wie eine einzige Gestalt standen sie am Bug des Schiffes und schauten über das stürmische Meer.
August 1510
Antonio blickte auf, als Oratio im Bogengang vor seinem Kontor erschien. Die Miene des Jungen verhieß Ärger. Achtlos ließ Antonio die Feder fallen, mit der er soeben eine Warenaufstellung korrigiert hatte. Er trat hinter dem Schreibpult hervor und wischte sich mit einem feuchten Tuch die Tintenflecken von den Fingern. Mit dem Schwert war er entschieden besser als mit der Feder; er schaffte es nie, ein Schriftstück zu verfassen, ohne dass dabei enorme Klecksereien entstanden, sehr zum Leidwesen seines Schreibers, der in dem Kontor die undankbare Aufgabe hatte, Antonios wenig leserliche Aufzeichnungen in Folianten zu übertragen.
»Was gibt es?«, fragte er, während er reichliche Mengen Löschsand über das Papier schüttete, bevor die ganze Aufstellung in Tinte zerfließen konnte.
Oratio langte an seine Messerscheide, zog blitzartig den Wurfdolch und ließ ihn durch die Luft sausen. Alles ging so schnell, dass Antonio nur verdutzt zusammenzucken konnte. Der Schreiber, der an einem der beiden anderen Pulte des Kontors arbeitete, schrie erschrocken auf.
Oratio ging in die Ecke hinter dem Schreibpult und hob den Dolch auf, zusammen mit der Ratte, die aufgespießt daran hing. »Es gibt in der letzten Zeit viel zu viele von diesen hässlichen Biestern«, verkündete er. »Scheint fast so, als wären sie überall.« Mit raschem Schwung beförderte er den Kadaver in das Abfallfass, das vor dem Eingang stand. Er wischte den Dolch an seiner Schuhsohle ab und schob ihn in die Scheide, bevor er sich Antonio zuwandte.
»Jemand ist gekommen«, sagte er.
Antonio straffte sich. »Cattaneo?«
»Nein, von dem hört und sieht bisher niemand was. Ich frage regelmäßig herum, aber er ist noch nirgends aufgetaucht.«
Giacomo Cattaneo hatte sein Haus schon vor seinem Aufbruch ins Ausland verkauft, es wohnte nun ein Nobile aus der Familie des Dogen dort. Kein Mensch wusste, wo Cattaneo sich aufhielt. Antonio hoffte inständig, dass das Schiff, auf dem der Patrizier gereist war, untergegangen war. Oder dass irgendwer das Richtige getan und den Kerl einen Kopf kürzer gemacht hatte.
»Der Mann kam aus Padua«, sagte Oratio. »Ein kleiner kahler Wicht, der ein ums andere Mal Na so was sagt. Und er hat einen Hund mitgebracht, ein Vieh so groß wie ein Esel. Hat wie verrückt gekläfft, als er deine Frau gesehen hat.«
Antonio stöhnte innerlich. Der Apotheker! Sie hatte gesagt, dass sie sich um jemanden fürs Geschäft kümmern wollte, aber nicht, dass sie es damit so eilig hatte. Sie musste praktisch zeitgleich mit ihrer Ankunft in der vergangenen Woche einen Boten losgeschickt haben. Und dieser Messèr Silvano wiederum hatte keine Zeit verloren, sich auf den Weg zu machen, vermutlich unter dem Eindruck des Krieges, der sich wie eine unerbittliche Zange um Padua schloss. Bisher hatte die Stadt nach der Rückeroberung durch Venedig den wieder vorrückenden Truppen von Kaiser und König standgehalten, doch die gesamte Umgebung, fast bis hin zur Festlandküste, war dem Feind in die Hände gefallen.
Ob der Apotheker glaubte, er würde es hier in Venedig besser haben? Die Stadt barst aus allen Nähten vor Menschen, die vor den Truppen der Liga geflohen waren, und sie alle mussten ernährt und versorgt werden. Antonio für seinen Teil konnte sich darüber nicht beklagen; seine Geschäfte blühten wie nie zuvor. Ein Weizentransport nach dem anderen kam von Kreta in die Lagune, und an einem guten Teil der Mudue war er als Investor beteiligt. Doch in Zeiten wie diesen stand für ihn weniger das Gewinnstreben im Vordergrund als die Sorge um die seinen. Was nützte ihm der ganze Reichtum, wenn die Serenissima von den Franzosen erobert wurde? Der Große Rat rüstete fieberhaft weitere Soldatenheere aus und postierte Abwehrtruppen entlang den Rändern der Lagune. Ob sie jedoch den entschlossenen Kräften der Angreifer standhielten, war eine andere Frage.
»Soll ich mir den Kerl mit dem Hund vornehmen?«, fragte Oratio.
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