Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
weinen. Oder sie würde am Ende auf dumme Gedanken kommen und doch noch aus dem Boot steigen, um die paar Schritte, die sie trennten, zu überwinden.
»Erzähl mir rasch, wie es euch allen ergangen ist!«, befahl sie.
»Mutter, du hast uns so gefehlt!«, weinte Mansuetta. Sie barg ihr Gesicht an der Schulter des einäugigen, pockennarbigen jungen Mannes, der ihr liebevoll über den Kopf strich.
»Mansuetta«, mahnte er. »Versuch, dich zusammenzunehmen! Deiner Mutter ist nicht damit gedient, wenn du nur weinst!«
Crestina betrachtete das Paar mit klopfendem Herzen. Mansuetta war mit diesem Mann glücklich, so sehr, dass es fast mit Händen zu greifen war.
Mansuetta löste sich aus den Armen des Mannes und blickte sie eindringlich an. »Mutter, wie fühlst du dich? Geht es dir ... gut?«
»Ja«, sagte Crestina wahrheitsgemäß. »Ich fühle mich gut. Ich habe keine Schmerzen. Ich bin nur müde und werde bald einschlafen. Bitte erzähl mir vorher noch rasch ein bisschen, ja?«
Mansuetta nickte hastig. »Es geht uns allen gut. Das hier ist mein Mann, Giovanni. Wir haben vorletzten Monat geheiratet. Laura hat ebenfalls geheiratet, du wirst nicht glauben, wen. Antonio Bragadin!«
Beinahe hätte Crestina gelacht. Welch seltsame Wege das Schicksal manchmal nahm!
»Wir alle leben unter einem Dach«, fuhr Mansuetta fort. »Aus Antonio ist ein reicher Kaufmann geworden, er bietet uns ein angenehmes Leben. Laura ist guter Hoffnung, noch in diesem Jahr kommt das Kind.«
Crestina lächelte stumm, von einer Woge reinen Glücks durchströmt.
»Matteo ist ein kluger Junge. Er kann besser rechnen als sein Hauslehrer.«
»Er hat einen Hauslehrer? Was ist aus Isacco geworden?«
»Isacco ist gestorben«, sagte Mansuetta. »Die Zinzis sind alle tot, auch Messèr Mosè und seine Frau.«
Crestina fühlte einen scharfen Stich des Bedauerns, doch dann gewann sie die nötige Distanz. Es war der Lauf der Welt, dass die Menschen starben, und sie selbst war nur eine von vielen, die gehen mussten. Ihr Kopf sank nach hinten. Sie wusste nun alles, was sie hatte erfahren wollen. Die Kinder waren glücklich. Sonst zählte nichts.
»Mutter!« Mansuettas drängende Stimme riss sie aus ihrer Benommenheit. »Du musst mir auch etwas erzählen! Ich muss alles über Anna Monteverdi erfahren! Du hast es uns in dem Brief geschrieben, bevor du gingst, erinnerst du dich? Du schriebst, wir hätten dieselbe Mutter, Laura und ich. Anna Monteverdi. Bitte erzähl mir alles von ihr! Von ihr und von Angelica, ihrer Schwester!«
Crestina spürte, dass es nicht nur um die Gefühle einer verlassenen Tochter ging. Und sie merkte auch, dass sie sich beeilen musste. »Anna Monteverdi wurde in Neapel geboren«, begann sie, entschlossen, alles zu berichten. Die Zeit, Geheimnisse zu bewahren, war unwiederbringlich vorbei. »Anna war die erste Tochter eines dort ansässigen Grafen. Sie hatte eine jüngere Schwester, Angelica, deren Amme ich war. Ich kam zu der Familie, nachdem die Mutter bei Angelicas Geburt gestorben war. Beide Kinder zog ich fortan wie meine eigenen auf, sie waren mir so teuer, wie es nur leibliche Kinder sein können.« Crestina sprach rasch und ohne innezuhalten, bevor sie zu der entscheidenden Information kam. »Als Anna ins heiratsfähige Alter kam, hat ihr Vater sie mit einem venezianischen Adligen vermählt.«
Mansuetta wirkte verwirrt. »Du meinst, mit einem venezianischen Maler .«
»Nein. Sie heiratete Marcello Querini.«
»Mutter, das musst du verwechseln! Nicht Anna, sondern Angelica heiratete Querini!«
»Ja, das tat sie. Aber erst später. Hör mir zu: Anna heiratete Querini als Erste! Sie war seine erste Frau. Bald darauf wurde sie schwanger, und schließlich kam sie nieder. Mit dir.«
»Ich ... nein!«, stieß Mansuetta hilflos hervor.
»Doch«, sagte Crestina voller Mitgefühl »Du bist seine Tochter, Mansuetta. Die Tochter von Marcello Querini.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Giovanni. Mansuetta war offenbar zu schockiert, um weitere Fragen zu stellen.
»Mansuetta war missgebildet. Ein unwillkommenes Kind.« Crestina versuchte, es sachlich klingen zu lassen, doch sie merkte, wie die alten Ängste wieder Gestalt annahmen. »Er hat sie ausgesetzt.«
»Wer?«, fragte Giovanni mit sichtlichem Entsetzen. »Querini?«
»Nein, der Graf. Mansuettas Großvater. Doch es geschah im Einvernehmen mit Querini. Der Graf ging noch in der Nacht der Geburt mit dem Kind fort und legte es irgendwo auf einem Acker ab. Anna
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